+ ich bin inzwischen auch mental wieder zu Hause angekommen;

+ vielen Dank für Eure tolle Tourbegleitung, die mir immer wieder Kraft gab;

+ falls Ihr Hinweise für mein neues Buchprojekt habt, dann schreibt an klette.reinhard@gmail.com

Hinweis: Zur besseren Navigation habe ich einen Link eingefügt:

  1. Es geht los
  2. Moore und Seen
  3. Auf alten Spuren
  4. Ins Land der Vorfahren

Am 27. Juni 2024 startete meine dritte  Baltikumtour. Dieses Mal wieder mit einem Fahrrad, aber nicht  allein, zumindest den Start betreffend!

In den ersten Tagen entlang der lettischen Ostseeküste bin ich gemeinsam mit Heiko und seiner Tochter Judith gefahren. Mit der Hilfe von Vater und Tochter hatte ich 2018 die Homepage der Bürgerinitiative PRO RAD STRALSUND erstellt, und beide hatten bereits in der Familie Baltikum-Raderfahrungen gemacht.

Wir beiden Männer begannen am 27. Juni 2024 zunächst mit einem Regionalexpress von Stralsund nach Berlin. Von dort ging es mit einem Fernbus von Berlin nach Riga. Judith beendete im Juni ihre Auslandsstudienzeit in Tartu/Estland und am 28. Juni hatten wir ab Riga die Küsten-Biwak-Radtour in Richtung KAP KOLKA gemeinsam gestartet.

In Kuldiga bewegte ich mich auf bekanntem Terrain ebenso wie in dem wunderschönen lettischen Badeort Jürkalnes an der Ostseeküste. In Litauen besuchte ich Valdas in Rietavas bereits zum dritten Mal bevor es danach südwärts zum Memelfluß und nach Sowjetsk/Tilsit/Kaliningradski Oblast bzw. Panumene/Litauen ging. Ich wollte mir  dieses Mal einen Jahrzehnte alten Traum erfüllen: Insterburg/Tschernyachowsk, die Geburtsstadt meines Vaters Kurt erleben! Ich habe dabei ganz bewusst die vielen Bedenken von Verwandten, Freunden und Bekannten bei Seite geschoben: Du kannst doch in dieser Zeit nicht nach Russland fahren? Ist dir denn gar nicht bewusst, welchen Gefahren du dich aussetzen wirst? Das und Ähnliches hörte ich im Juni ab und zu.

Ist es aber gerade jetzt nicht besonders wichtig, sich persönlich ein Bild von dem Unbekannten zu machen sowie direkte Kontakte zwischen Bürgern verschiedener (verfeindeter oder nicht verfeindeter) Länder zu suchen? Meine bisherig im Baltikum gemachten Erfahrungen werden mir dabei hoffentlich eine wichtige Stütze sein.

0. Vorbereitung der Tour

Judith beendet in diesem Monat ihre Auslandsstudienzeit in Tartu/Estland und am 28. Juni wird ab Riga die Küsten-Biwak-Radtour in Richtung KAP KOLKA gemeinsam gestartet.In Kuldiga werde ich mich auf bekanntem Terrain bewegen. In Litauen werde ich zunächst Valdas mit seiner Tischtennisgruppe in Rietavas bereits zum dritten Mal besuchen! bevor es danach den Memelfluß aufwärts in Richtung Sowjetsk/Tilsit/Kaliningradski Oblast bzw. Panumene/Litauen geht. Ich will mir in diesem Jahr einen Jahrzehnte alten Traum erfüllen: Insterburg/Tschernyachowsk, die Geburtsstadt meines Vaters Kurt erleben!

Vorher sind noch wichtige Dinge zu klären, u.a.

  • das am 3. Juni durch mich beantragte einmonatige Touristenvisum für das Kaliningrader Gebiet muss ich selbst in den Händen halten;
  • ich muss aufklären, über welche Grenzübergangsstellen ich von Litauen aus in die Russische Föderation (RF) mit dem Rad einreisen und nach Polen wieder ausreisen kann; (vom Auswärtigen Amt der BRD erhielt ich die Auskunft, dass das nur an einer Stelle möglich sei und zwar aus Richtung Osten über den Suwalki Korridor);
  • welche Devisen darf ich aus der EU ausführen unter dem Gesichtspunkt der EU-Sanktionen gegenüber der Russischen Föderation (RF); Euro soll davon betroffen sein, aber Dollar, Pfund usw. als Währung erlaubt? Gibt es aber ein Limit pro Tag ???

Ihr merkt sofort Fragen über Fragen und ich muss jetzt 10 Tage vor Reisebeginn leider feststellen, dass aus meiner Umgebung deutlich mehr als 90 Prozent davon abraten, in dieser jetzigen politisch aufgeheizten und kritischen Situation nach Russland zu fahren.

Ist es aber gerade jetzt nicht besonders wichtig, sich persönlich ein Bild von dem Unbekannten zu machen sowie direkte Kontakte zwischen Bürgern verschiedener (verfeindeter oder nicht verfeindeter) Länder zu suchen ? Meine bisherig im Baltikum gemachten Erfahrungen werden mir dabei hoffentlich eine wichtige Stütze sein.

Bei einer gemeinsamen Fahrt mit Edeltraud und Gerhard Lange, ein befreundetes Radlerehepaar, bekam ich im Mai 2021 Herzprobleme. Gerhard tauschte sein E-Bike gegen mein Diamantrad von 1943 aus, zumal wir schwieriges Gelände im Tal der blinden Trebel befuhren. Mit dem Bike kam ich wunderbar zurecht, wie sich Gerhard auf dem ungewohnten Drahtesel fühlte, bleibt hier lieber unbeantwortet.

Schon in der nächsten Woche erkundigte ich mich bei meinem vertrauten Fahrradhändler HEIDEN und erhielt ein in Preis und Leistung phantastisches Angebot: Einen Leasingrückläufer Typ STEVENS E-Courier, der in drei Jahren eine Laufleistung von 4.500 Kilometern hatte.

Im Juni des gleichen Jahres gab es die erste Tour: Ab Rosenheim/Bayern – Regensburg-Altmühltal-Bamberg-Thüringer Wald-Großer Fichtelberg. Mit fünf anderen Radbegeisterten von Chemnitz fuhren wir zum größten Berg der ehemaligen DDR und mit der DB nach Hause. Nicht nur die erstmaligen Übernachtungen in einem Ein-Mann-Zelt machten die zwei Wochen zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Wie vielleicht bereits bekannt, befuhr ich mit dem Stevens das Baltikum im Juni 2022. Welches Rad nehme ich aber dieses Mal mit?

Eine wirklich schwere Entscheidung! Falls Herzprobleme auftreten sollten, wäre das E-Bike natürlich stark im Vorteil; die Tagesfahrleistung müsste ich voraussichtlich beim Oldie um 40 Prozent reduzieren.

Aber, die Suche nach Batterie-Auflademöglichkeit würde entfallen! Darüber hinaus werden direkt entlang der Ostseeküste sehr häufig Wiesen- und Waldwege zu befahren sein. Ich habe auf vielen Fahrten die Erkenntnis gewonnen, dass sich in schwierigem Gelände das ältere Fahrrad viel leichter als die modernen Räder fahren lässt. Die Vordergabel ist weiter nach vorne gebeugt und deshalb hat dieses Rad einen längeren Radstand als moderne Modelle. Bei schwierigem Gelände ist das ein bemerkenswerter Vorteil! Wie ich bereits erwähnte, werden Judith, Heiko und ich voraussichtlich die ersten knapp 100 Kilometer direkt neben der Ostseeküste vermutlicher weise vorwiegend schwieriges, sandiges und unebenes Terrain fahren. Separate Asphaltradwege werden eher die Ausnahme sein.

In den letzten drei Wochen fuhr ich ausschließlich mit dem mehr als 80 Jahre alten Rad, testete über zwei knapp 100 Kilometer langen Tages-Touren meine Konstitution und fühlte mich gut dabei. Das DIAMANT-Rad erhielt bei Fa. HEIDEN einen neuen Antrieb und einen Außenspiegel. Somit ist wohl meine Entscheidung zu erkennen: Ich plane etwas mehr Zeit ein und versuche die ganze Sache etwas entspannter anzugehen.

Am 21.Juni erhielt ich eine sehr gute Auskunft: Gestern ist in Rostock im RASPUTIN REISE CENTER das Touristenvisa für den Russland eingetroffen!

Am 26. Juni erhielt ich von Heiko einen Anruf, mit der Frage: Hast du auch von Flixbus eine Nachricht erhalten? Da ich nachmittags noch die letzten Unterrichtsstunden mit meinen Abiturientinnen hatte, die tags darauf ihre mündliche Matheprüfung zu absolvieren hatten, wusste ich nichts von einer Nachricht.

1. Es geht los !

Das Busunternehmen Flixbus teilte mit, dass unsere Busverbindung nicht mehr direkt von Berlin nach Riga gehen würde, sondern in Berlin zwei Stunden eher starten würde. In Warschau müssten wir umsteigen und zwei Stunden auf den Anschluss nach Riga warten. DAS FÄNGT JA GUT AN! Für uns hieß das, zwei Stunden früher in Stralsund mit dem RE 3 starten, also Abfahrt um 06.16 Uhr.

Obwohl ich bereits vor 4.30 Uhr aufstand und obwohl mich meine Gattin Monika tatkräftig bei den Vorbereitungen unterstützte, kam ich leider erst wenige Minuten vor Zugabfahrt am Bahnsteig an. Was wohl Heiko über diesen kleinen Nervenkitzel denkend würde. Er wartete bereits mit seiner Gattin auf dem Bahnsteig. Ein bisschen peinlich war es mir. Es ging pünktlich los und in Berlin am Hauptbahnhof kam er genau auf die Minute an, auch das gibt’s noch bei der DB.

Wir hatten uns entschlossen, vom Hauptbahnhof zum Bahnhof Südkreuz zu radeln. Zwischen Bundeskanzleramt und Brandenburger Tor fuhren wir an verschiedenen Fanmeilen hinsichtlich der Fussball EM 2024 vorbei. Der Park um die Siegessäule herum war in diesem Moment komplett gesperrt. Was für ein gewaltiger Aufwand!

Ein anderes Ungemach zog am Horizont auf: Heiko hatte eine weitere Nachricht von Flixbus erhalten, die darauf hinwies: Der Bus ab Warschau hat keine Fahrradträger, deshalb würde die Mitnahme der Fahrräder nicht möglich sein !!! Ist doch auch mal was: FAHRRADTOUR OHNE RÄDER….Einen Hinweis in der Nachricht nahm ich ernst: Kontaktieren Sie uns unter einer angegebenen Telefonnummer, und vereinbaren Sie mit uns eine neue Lösung. Die Mitarbeiterin des Callcenters schlug vor, über Dresden und Kaunas mit 4 Umstiegen zu fahren. Garantie zur Fahrradmitnahme könne sie allerdings nicht geben.

Also blieb es bei der vorgesehenen Fahrtroute. Heiko hatte hierfür ein starkes Argument: Bei der veränderten Busverbindung wurde bei beiden Tickets festgehalten, Fahrradmitnahme gebucht! Ich befragte im Bahnhof Südkreuz im DB Reisecenter eine Mitarbeiterin bzgl. Zugverbindungen nach Riga incl. Fahrradmitnahme, um für den schlimmsten Fall, eine Alternative zu haben. Ab Warschau wäre am Freitag früh eine Zugfahrt nach Vilnius möglich, Ankunft gegen fünf abends und der nächste Zug von Vilnius nach Riga führe am Samstag früh und käme abends an und wäre darüber hinaus schon ausgebucht. Radmitnahme eh nicht möglich!!!

Hoch lebe die Verständigung zwischen den Völkern der Europäischen Union! Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sich die Situation in der EU gegenüber der Zeit vor 1990 deutlich verschlechtert hat.

Mit viel Zureden durch Heiko und Verweis auf unseren Vertrag mit Flixbus incl. Radmitnahme verstaute der Fahrer schlussendlich die Räder doch im Gepäckraum. Zu unserer Überraschung, mussten wir auf einer Tankstelle kurz hinter Marijampole den Bus wechseln, und das neue Fahrzeug hatte Fahrradträger. Hat hier einer im Busmanagement von Flixbus doch ein schlechtes Gewissen bekommen wegen der vielen Unannehmlichkeiten? Oder war alles nur Zufall?

Das war noch nicht alles mit den Überraschungen:

Offensichtlich sind wir in den Bus umgestiegen, der für uns ursprünglich vorgesehen war! Er hatte auch die gleiche Liniennummer. Wir mussten aber Freitag früh 2 Stunden früher aufstehen und hatten in Warschau spät abends 2 Std. „rumzulungern“. Das ist schon heftig und kaum nachzuvollziehen.

Halbwegs pünktlich und überglücklich kamen wir beide auf dem Rigaer Busbahnhof an und wurden von Judith freundlich begrüßt. Bei einem Marktrundgang gab es auch ein kleines Frühstück.

Wir fuhren durch das Ortszentrum von Riga, am Alten Rathaus vorbei und weiter in das knapp 30 km entfernte Jurmala. Hier empfahl Judith, wegen der Nähe zur Ostsee und wegen WLAN-Empfangs auf dem Zeltplatz  Vaivari zu übernachten.

2. Moore, Seen und Ostseeküste

Im Folgenden füge ich eine Übersichtskarte ein, die einen Überblick über den nächsten Reiseteil gibt. Über Google Maps wird im gesamten Baltikum keine Fahrradroute angegeben, deshalb habe ich bei der Routenplanung stets „Fußgänger“ eingegeben.

Judith hatte beim Zeltaufbau wesentlich mehr Routine. Aber auch ich war mal fertig.

Sie hatte mit ihrem Gaskocher Warmversorgung eingebracht. Neben der Erholung lockte auch immer mal wieder die Arbeit.

Auf die nächsten Radtage mit ihrem Vater (und einem eingeschlichenen Gast) hatte sich Judith als Tourguide sehr gut vorbereitet. Entlang der lettischen Küste haben wir mehrere Nationalparks wie z. B. Hochmoore und Seen besucht.

Eine Pause muss natürlich auch mal sein.

Wir hatten sogar mal das Glück, nur wenige Meter neben dem Strand unser zu Hause aufbauen zu können. Er liegt einen knappen Kilometer südlich von Engure und heißt Camping near the sea „Saules“.

Während ich noch mit dem Zeltaufbau beschäftigt war, fuhren Judith und Heiko zum Einkaufen in die nächste Stadt. Die Nähe zun Ostseestrand war schon ein gewaltiger Vorteil, dieser musste aber geteilt werden mit den Tatsachen, dass es außer Plumpsklo keinen Sanitärbereich und keinen WLAN Zugang gab. Am Vortag war es auch schon schwierig, an meinem BLOG weiter zu arbeiten, war aber nicht zu ändern.

An diesem Samstagabend (29.06.) würde die deutsche Fussballnationalmannschaft gegen Dänemark ihr Viertelfinalspiel bestreiten. Vielleicht besteht im nächsten Ort die Möglichkeit, diese Spiel live zu verfolgen. Leider kamen beide mit einer Absage zurück und auf dem Zeltplatz interessierte dieses Spiel auch Niemanden. So hatte ich nach dem Abendbrot Zeit für einen ausführlichen Strandspaziergang. Ich bemerkte dabei, dass offensichtlich einige Familien zwischen dem Zeltplatz und dem Ort Engure sich auf das Übernachten eingerichtet hatten, und die zahlreichen Kerzen und sonstigen Lichter ergaben eine romantische Atmosphäre.

Ich hatte auf der Gummiluftmatratze im Zelt wie in der vorherigen Nacht recht gut geschlafen. Zusätzlich tat mir das morgendliche Sonnenbaden sehr gut.

Mit frischen Kräften ging es am nächsten Tag weiter. Zunächst mit einer längeren Schlange beim privaten Bäcker in Engure…

Ein – aus der Gegenrichtung kommender – Biker hielt an und gab uns wesentliche Hinweise, wie. z. B. eine gut zu umfahrende große Straßenbaustelle zwischen Kap Kolka und Ventspils erreicht werden kann.

Bei Wanderungen an den Seen war so manches Abenteuer zu bestehen.

Am Rande eines Sees führte ein Pfad durch ein Schilfgebiet sowie über den Rand eines Sees. Am Ende des Naturpfades begrüßte ich sie auf „festem“ Grund und sah, dass im Seen-oder Moorbereich durchaus auch ehemals hohe Bäume wuchsen.

Durch die Beobachtungen der vielfältigen Vogelwelt, wie beispielsweise weiße Vogelreiher aber auch vierbeinige Exoten, wurden die Wanderungen immer wieder zu unvergesslichen Erlebnissen. Es werden im Naturpark „Engure-See“, Koniks gehalten, die mit einem dunklen Strich auf dem Rücken ein besonderes Merkmal besitzen. Sie sorgen dafür, dass die Landschaft offen bleibt und nicht verbuscht.

Mit dem Halten von Pferden oder Schafen werden wichtige Pflegemaßnahmen in Naturschutzgebieten umgesetzt, um für viele Arten der Flora, wie z. B. Orchideen oder Wiesenbrüter die erforderlichen Lebensbedingungen zu schützen und damit für die Biotope den Schutzstatus zu erhalten.

Unser nächstes Ziel war die für seine Fischwirtschaft und für den Seglerhafen bekannte Stadt Roja (gesprochen rucha). Bei meinem Kontakt zu Freunden erfuhr ich vom Segler Klaus, dass er bei der Ostseeumsegelung mit seiner Gattin auch hier eine Pause einlegte.

Auf der Fahrt nach Roja kamen wir an dem beeindruckenden Kap Mérsrages vorbei. Das war für mich von besonderem Interesse, da wir festlegten, dass sich unsere Wege am nächsten Tag, Dienstag, 02. Juli, trennen würden. Judith und Heiko bleiben an der Küste zum Kap Kolka und fahren weiter über Ventspils nach Liepaja. Heiko sendete mir am Freitag nach dem Erreichen von Liepaja folgende Karte von ihrem Streckenverlauf:

Für mich wird die Hauptstadt des Kurlandes, Kuldiga das nächste Ziel sein.

In den letzten Tagen hatte ich bemerkt, dass Judith sich zusätzlich zu ihrem Masterstudium mit dem Fotografieren intensiv beschäftigt. Ihr Vater sendete mir freundlicherweise die folgende Aufnahme vom Kap Kolka.

In Roja sah Heiko am Gemeindezentrum eine Gebietskarte (sh. oben). Diese half mir sehr bei der gestrigen Fahrt zum Herzstück des Kurzeme/Kurland, welches im vergangenen Jahr die Anerkennung als Unesco – Weltkulturerbe erhielt. Außerdem recherchierte Heiko, dass Kuldiga/Goldingen immerhin 97 km (!) entfernt liegt. Ich blieb aber bei meiner ursprünglichen Entscheidung, das an einem Tag zu bewältigen.

Wir verabschiedeten uns voneinander am Dienstag, 02.07. auf dem Zeltplatz, der in dieser Nacht nur durch uns bewohnt wurde.

3. Auf alten Spuren

Während ich noch am Abend zuvor mit dem Zeltaufbau beschäftigt war, fuhren die beiden anderen zum Einkauf in die Stadt. Auf dem ansonsten sehr gut ausgestatteten Zeltplatz war zwar Strom vorhanden aber Free Wifi nicht. So bin ich abends noch mal nach Roja gefahren und fand ein nettes Hotel mit der Möglichkeit, einen schmackhaften Fisch-Starter zu mir zu nehmen. Bei einer anderen Gelegenheit genoss ich eine Fischsuppe.

Bei der Fahrt bemerkte ich abends, dass das Rad ohne Gepäck klapperte, machte mir aber keine weiteren Gedanken. Früh morgens bemerkte Heiko bei einer kleinen Gepäckkontrolle, dass eine Strebe vom Gepäckträger an der Hinterachse weggebrochen war; ich musste das natürlich zunächst reparieren lassen. Wie bereits von mir zu Hause bei vergleichbaren Gelegenheiten praktiziert, wand ich mich an eine Autowerkstatt. Fahrradwerkstätten vermeiden oder dürfen nicht schweißen. Der sehr freundliche Kfz-Mechatroniker in einer nicht markengebundenen Autowerkstatt bat mich, für 2 Minuten (!) Geduld zu haben, er würde gleich rangehen. In Deutschland fast undenkbar!

Es hatte inzwischen angefangen zu regnen. Es steigerte sich zu einem sehr starken Regenguss, der mehr als eine Stunde anhielt. Ich dachte, haben Judith und Heiko auch diesen Starkregen und können ebenfalls so günstig abwettern? Mir wurde im Büro der Werkstatt sofort Strom und Free Wifi angeboten. Ich konnte am Fahrbericht weiter arbeiten und in Stralsund klären lassen, warum der Blog von der Homepage www.pro-rad-stralsund.de verschwunden war. Ein ehemaliger Mitschüler von der Ilmenauer Goethe EOS (Gymnasium) rief mich aus Erfurt an und vermutete, dass ich wegen der mehrere Tage andauernden Sendepause des Blogs meine Radtour abbrechen musste. Mit seinem hintergründigen Humor mutmaßte er:“ Ich verstehe dich; an deiner Stelle würde ich auch die Fahrt abbrechen, um ab Barth an der ab 07.07. beginnenden traditionellen pro Jahr einmal stattfindenden einwöchigen Bootstour teilzunehmen.“ Ich mußte ihn aber enttäuschen.

Meine Entscheidung zur Weiterfahrt bereute ich bereits nach ca. 15 (!) gefahrenen Kilometern und wollte schon fast in einen Bus einsteigen. Tags zuvor war schönes Wetter und wir hatten zudem Rückenwind; mit Judith an der Spitze fuhren wir vorwiegend knapp 23 km/h! Aber, in Richtung Kuldiga war auf den ersten knapp 20 km die Straße in einem miserablen Zustand, es herrschte zusätzlich Gegenwind und es regnete, mein Regenumhang blähte sich häufig erheblich auf, was meine Fahrt nicht gerade erleichterte. Ich dachte an einem Morgen auf dem Campingplatz in Jurmala, als Judith beim Zusammenpacken ihres Zeltes eine Windböe das Zelt fast …

… aus der Hand riss. Es kam noch dazu, dass es eine andere Sache ist, zu dritt zu fahren oder alleine durch die Gegend zu düsen und Kilometer für Kilometer die vor mir liegenden 97 „zu fressen“. Was soll’s ich musste durch, es war ja nun mal mein völlig eigener Entschluss und Stralsund war noch ein Stückchen weg.

Ab der kleinen Ortschaft mit dem interessanten Namen Valdemārpils wurde es zumindest mit den Fahrbahnverhältnissen besser. Ich möchte der Ehrlichkeit halber nicht verschweigen, dass ich beim Absteigen mit dem rechten Bein am Rahmen hängen blieb, so dass ich mich unter dem Rad „begrub“. Außer den erschrockenen Blicken von Dorfbewohnern geschah aber weiter nichts, und ich konnte im Laden einkaufen.

Hinter der Gebietshauptstadt Tulsa wurde zu meiner großen Freude auf einer Länge von ca. 10 Kilometern bei einem Straßenneubau ein separater Geh-und Radweg angelegt. Wie ich bemerkte, wurde dieser Asphaltweg auch sehr intensiv von Hausschnecken genutzt und offensichtlich von den vorherigen Radlern nach dem Verkehrsvorsatz „Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme“ behandelt… Keine einzige Schnecke wurde überfahren! Wenn es auch nicht ums Überfahren geht, wünschte auch mir, dass wie in Deutschland außerhalb von Ortschaften, ein Mindestsicherheitsabstand von 2,50 Metern verkehrsrechtlich einzuhalten ist. Ich sah entsprechende Hinweise am Inneren von Buswartehäusern angebracht. Ob das nun ein geeigneter Ort sei, kann wohl sehr bezweifelt werden…

In dem kleinen Ort Stende machte ich in einem sehr großen Kulturhaus, der Sozialismus grüßt auch hier noch, eine Pause. Erstaunlicherweise hatte ich ohne Passwort Wlan-Anschluss… Darüber hinaus bemerkte ich an einer Wandtafel, dass auch in Lettland Ottokar Domma bekannt zu sein scheint, indem er für einen Kinderzirkel warb:

Mit allerlei Ablenkungen näherte ich mich dem Ziel, an eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 23 km/h war natürlich nicht zu denken. Eine Geschwindigkeit von 15 oder 16 tuen es auch. Nach ca. sieben Stunden kam ich gegen 21 Uhr in Kuldiga an. Die letzten 30 Kilometer zählte ich exakt mit, und erinnerte mich dabei an das Schwimmen von zwei Kilometern auf einer 25 m Bahn, incl. dem Mitzählen der Bahnen.

In Kuldiga angekommen „fand ich“ mit der Hilfe zweier Schulmädchen ohne Umwege mein kleines Haus, welches ich nun die nächsten Tage allein für mich benutzen durfte.

Ich war an einem meiner Lieblingsorte angekommen und – habe wieder einmal in einem Bett – sehr gut und tief geschlafen.

In den beiden vorherigen Jahren hatte ich mich stets in den fürsorglich betreuten Liba Apartmenthaus sehr wohl gefühlt. Dieses Mal war es aber schon ausgebucht und deshalb nutzte ich ein Angebot von denen mir aus 2022 Bekannten Elina und Martins. Durch Zufall liegen beide Häuser in der gleichen Straße. So ergab es sich, dass ich bei meinem ersten Spaziergang in die City am Apartmenthaus vorbeiging. Auf dem Hof arbeitete Ainars, ein total lieber, freundlicher und privat arbeitender Tischler an der Restaurierung einer Holztür. Er begrüßt mich schon seit dem letzten Jahr als “ my friend“ . Im vergangenen Jahr erzählte er mir, dass er im Fernsehen ist. Ich hatte seiner Frau die Daten für den 22er Blog gegeben und so verfolgten sie meine Radtour.

Als ich auf den Hof ging, kam mit schnellen Schritten, aus dem im Erdgeschoss befindlichen Laden, eine etwas ältere schwarzhaarige Frau auf mich zu. Ich dachte kurz, was hast du denn schon wieder verbrochen, warum diese Hektik? Sie trat ganz dicht an mich heran und übergab mir etwas. Fast undenkbar, sie hatte ein Brillenetui in der Hand und sagte, hierin sei meine Brille, welche ich in der Wohnung vor mehr als einem Jahr vergessen hatte! Es ist irgendwie fast wie ein Wunder, ich war gerade auf Ainars zugegangen, da musste sie mich bemerkt haben …

Bei meinem Morgenspaziergang machte mich Bluesmusik auf einen Laden namens KUULE in einer Nebengasse aufmerksam. Ich kaufte schmackhafte Oliven und kam mit der Chefin wegen meiner Radtour ins Gespräch.

Im Distriktmuseum von Kuldiga in der Nähe des Schlossparkes sah ich mir eine Aquarellausstellung eines bekannten lettischen Künstlers sowie eine Sonderausstellung zu Plakaten aus der Wendezeit um 1990 an.

Mit der sehr gut deutsch sprechenden Museumsmitarbeiterin führte ich ein intensives und bewegendes Gespräch. Da ich nur zwei Tage bleiben wollte, vereinbarte sie für mich eine Museumsführung außerhalb der Besuchszeit in einem anderen Museumsteil, das sich in einem ehemaligen Bankgebäude befindet. Von einem Balkon im obersten Geschoss der Privatvilla bot sich mir ein hervorragender Blick auf den berühmten Wasserfall Venta Rumba.

Auf einem Plakat las ich, dass dieses Gebäude auf der Pariser Weltausstellung 1890 ein Teil der russischen Präsentation für Fertigteilhäuser (!) war. Herr Bankert, ein Deutsch-Balte und reicher Werftbesitzer aus Liepaja/Liebau soll dieses Gebäude für seine Gattin von der Weltausstellung direkt weggekauft haben.

Meine Ehefrau Monika hat an diesem 2. Juli Geburtstag, und so wollte ich mit einem Gläschen Rotwein auf sie anstoßen. Es gab ein kleines heimeliches Abendessen.

Abends kamen Elina und Martins vorbei. Es konnte nur Martins noch länger bleiben, da seine Gattin abends ihre Mutter besuchen musste. Wir hatten ein sehr intensives und klärendes Gespräch. Ich spürte, dass etwas in der Luft lag. Bei unserem längeren Zusammensein zu seinem Geburtstag am 23. Juni 2022 hatte ich etwas falsch verstanden. Der Aufenthalt eines Teils seiner Familie im Wald auf der Flucht vor den Russen bezog sich nicht auf ihn sondern auf die 40er Jahre. (Ur)-oder Großeltern wurden nach Kasachstan deportiert und erlitten dort schlimme Jahre. Er meinte nur lakonisch, der Alkohol hatte wohl falsch übersetzt.

Des Weiteren berichtete er mir, dass der ältere Herr, den wir ’22 an einem See in der Nähe von Edole besucht hatten, leider im vergangenen Jahr alleine in der Hütte gestorben sei. Sein Sohn Kurt war auf längerer Dienstreise und hat bis heute sehr mit sich zu kämpfen, dass er seinem Vater in diesen Stunden nicht helfen konnte.

Wir waren beide zufrieden, dass wir uns die Gedanken und Gefühle austauschen konnten. Er sagte mir, ich verstehe dich jetzt gut. Dieses, nicht ganz so einfache, Gespräch führten wir ausschließlich in Englisch, und wir verstanden uns gut.

Der Museumsbesuch am nächsten Tag war für mich ein ganz besonderes Erlebnis. In dem Gebäude wurden einige Einrichtungsteile aus der ehemaligen Zeit als Bankfiliale gelassen, wie z. B. die Schalter für die Betreuung der Kunden oder der Tresor. Die Ausstellung gab sowohl einen hervorragenden Einblick in das Kur- sowie das Livland, in die baltische Geschichte insgesamt. Es beinhaltete aber auch durch seine hohe Vielfalt immer mal wieder Bezüge zu mir selbst, seien es beispielsweise mechanische oder elektronische Rechenhilfsmittel oder die russische Spiegelreflexkamera Zenit mit dem Sondermodell „Moskwa 1980“.

Der Vortrag der Museumsmitarbeiterin war auch deshalb so interessant, weil sie seit Ende der siebziger Jahre bis zur Bankschließung dort arbeitete und nach einer Umschulung ihren Arbeitsort nicht wechseln musste.

Auf dem Bild sind im Hintergrund die ehemaligen Bankschalter zu sehen. Wie dicht die Bankkunden damals noch neben einander standen. Bankgeheimnis, was ist denn das? Wie mir die Mitarbeiterin berichtete war es damals in der Sowjetzeit sehr gut durchorganisiert.

Im Tresorraum sind besondere Schmuckstücke ausgestellt sowie der Völkerkunde zuzuordnende Utensilien.

Auf dem weiteren Spaziergang fielen mir besonders das Geschäft für velozipedi (Wer kann sich noch erinnern? In der russischen Sprache bedeutet es Fahrrad) sowie einige wunderschön gestaltete Innenhöfe auf.

Nach zwei Tagen relativer Ruhe und mit tollen Erlebnissen im Herzen ging es am Donnerstag, den 4.Juli, wieder zur Ostseeküste zurück auf den wunderschönen Zeltplatz Zaki, wenige Kilometer nördlich von Jürkalne und 67 km nördlich von Liepaja.

Natürlich nicht ohne eine Verabschiedungsrunde von Liba Apartments. Dabei sah ich, dass Ainers nicht nur mit Holz gut umgehen kann, auch bei Metallarbeiten beweist er sein handwerkliches Geschick. Momentan baut er einen etwas größeren Grill.

Von einer Frau, die im Geschäft mit der Frau zusammen arbeitet, die mehr als ein Jahr meine Brille bewachte, erzählte mir von Ihrem Sohn erstaunliches. Er fährt für ein israelisches Team bei der Tour de France mit. Stolz zeigte sie mir Bilder von der Mannschaftsvorstellung und Aufnahmen mit Rennsituationen.

Der Dankeschön Besuch bei der Museumsmitarbeiterin in der ehemaligen Bankertsvilla gab mir/uns auch die Gelegenheit, der Venta Rumba Adieu zu sagen. Für wie lange, das wird nicht mal der liebe Gott wissen…

Bis Jürkalne sind es etwa 43 km, also kein großer Akt dachte ich. Falsch gedacht!! Die ersten 30 km verliefen in sehr hügeligem Gelände mit zum Teil sehr starken Anstiegen. Ich dachte so bei mir, das ist ja fast wie im Thüringer Wald.

Das Gewicht meines Rades dürfte mit dem Gepäck so im Bereich von 35 kg betragen. Und es heißt Masse schiebt; dennoch muss durch Beinkraft der Schwung möglichst beibehalten werden. Wenn das nicht gelingt, fällt die Geschwindigkeit sehr schnell ab. Auch heute ist es mir nicht immer gelungen, bergab für den Schwung zu sorgen, der einem fast berghoch rollen läßt. Auf der Insel Rügen ist der Abschnitt zwischen Garz und Kasnewitz ein sehr guter Bereich für diese Fahrvariante.

Ich machte also häufiger Pause und die erste gleich nach 16 km an der beeindruckenden Burg in Edole. Bei dem Besuch im vergangenen Jahr war die Burg leider geschlossen und ich war hinterher von der Innengestaltung sowie von der Freundlichkeit des vorwiegend jungen Personals in dem Kaffee begeistert. In der Burg befinden sich auch ein Museum und ein Hotel. Ich fand nicht nur ein Café vor, sondern ein hervorragendes Restaurant mit sehr niedrigen Preisen. Das Bier aus Ventspils hatte ich vor zwei Jahren bei meiner 170 km Tagestour genossen und das Beef auf Rotweinsoße mit grünem Salat mundeten hervorragend und es kostete zusammen nicht einmal 20 €. Erstaunlich war, dass auf meinen 50 € Schein nicht sofort herausgegeben werden konnte. Es musste vermutlich erst im Burghotel gewechselt werden.

Etwa 9 km weiter befindet sich in Alsunga die nächste Burg. Sie wurde bereits bei dem Besuch im vergangenen Jahr renoviert. Nun waren keine Handwerker mehr in den Räumen sondern im Innenhof sind einige Bühnenbauer, Licht- und Tontechniker mit dem Aufbau einer großen Bühne beschäftigt gewesen. Vom 5. bis 7. Juli wird dort ein großes Musikfestival BURDONA FESTIVALS mit mittelalterlicher regionaler Musik durchgeführt. Gruppen aus allen baltischen Ländern treten hier auf. Wer sich dafür interessiert, bei YouTube sind Beiträge abrufbar. Kurzzeitig überlegte ich, dieses Highlight auch zu besuchen. Ich entschied mich aber, beim ursprünglichen Plan zu bleiben.

Eine gute Stube von einem wohlsituierten deutsch-baltischen ehemaligen Besitzer.

Erstaunlich war für mich zu bemerken, zwei Burgen gut zehn Kilometer entfernt voneinander, eine als Hotel reich ausgestattet u.a. mit Trophäensammlung eine andere mit viel Engagement der örtlichen Bewohner mit wenigen Finanzmitteln liebevoll rekonstruiert. Eintritte für Erwachsene 1,23 € und für Senioren sowie Kinder ab 8 Jahren 0,83 € !

Auf dem Campingplatz Zaki in Jürkalne wurde ich freundlich von der Tochter Luize der Betreiberfamilie Svilpe begrüßt. Sie hat inzwischen ihre High School Ausbildung am Kunstgymnasium in Liepaja erfolgreich abgeschlossen und arbeitet an verschiedenen Möglichkeiten zur Veröffentlichung ihrer sehr schönen Kunstfotos. Wie vielleicht bekannt ist, durfte ich freundlicherweise in meinem Büchlein “ BALTIKUM GANZ NAH“ einige Fotos vom Mittsommernachtsfest 2022 verwenden. Ich schickte Ihnen als Danke schön ein Exemplar und wie ich bemerkte, steht es in Ihrem Buchregal. Wie ich feststellte, wird wohl sehr häufig darin geblättert.

Die Chefin begrüßte freundlich Gäste und zeigt Ihnen einige Kunstfotos von ihrer Tochter.

Ich war 2022 sofort von der wunderschönen Landschaft und von der Gestaltung des Platzes eingenommen, irgendwie ist es auch in gewisser Weise etwas wie zu Hause…

Ich nahm natürlich in der stürmischen See ein erstes Bad, nachdem ich in meinem neuen kleinen Haus Quartier bezogen hatte. Es sollte in der Nacht etwas stärker regnen und so bot mir Herr Svilpe diese Übernachtungsmöglichkeit ohne Kosten an.

Der WLAN Anschluss war hervorragend, und so konnte ich mich mit Google Maps über eine günstige Route nach Rietavas/Litauen zu Valdas informieren, meinem litauischen Freund.

Am nächsten Tag, Freitag, den 05. Juli, erkundigte ich mich bei Frau Svilpe über die Qualität der Fahrstrecken. Sie wies darauf hin, dass auf der kürzeren Strecke über Riva und Äižpute mit ca. 40 Kilometern Sand- und Schotterpiste zu rechnen sei. Und das wäre mit dem alten Fahrrad und dem vielen Gepäck nicht zu empfehlen. Sie meinte, dass über Liepaja ca. 20 km mehr zu fahren wären. Die ca. 15 km lange Schotterpiste kurz vor ihrer Geburtsstadt Priekule würde für beide Fahrstrecken zutreffen.

Es übernachtete wenige Meter von mir in seinem Zelt noch ein zweiter Radler. Es ergab sich ein kurzes Gespräch. Ich sprach ihn auf Englisch an, worauf er sofort erwiderte, Sie können mich ruhig in Deutsch ansprechen. Er kam aus dem Schwarzwald, war etwas jünger als ich und nach einer Busanfahrt ins Baltikum wollte er, wenn ich mich richtig erinnere, beginnend in Kaunas weiter über Kuldiga, Riga bis Tartu und Narva, an der Nordküste Estlands direkt benachbart mit der Russischen Föderation fahren. Eventuell würde er auch den estnischen Inseln am Ende des Rigaischen Meerbusens einen Besuch abstatten.

Er wohnte ursprünglich in der Eifel und lernte seine französische Gattin beim Radfahren kennen. Nun sei sie leider nicht mehr körperlich in der Lage, „längere“ Strecken zu radeln, was auch längere Strecken für den einen oder anderen bedeutet. Ich erwähnte auch meine 22 er Radtour und das Buch. Er blätterte etwas herum und bemerkte dann mein Fahrrad.

Kurze Zeit später verließ ich ebenfalls diesen magischen Ort. Im Dorf Labrags soll der Abzweig nach Riva und damit die kürzere Strecke sein. Zunächst sah ich aber keinen.Ich dachte, wenn diese Abfahrt nicht einmal einen Wegehinweis verdient, dann müsse ich auch nicht riskieren, da lang zu fahren. Und plötzlich, hinter dem Ortsausgangsschild, steht ein großes blaues Hinweisschild mit der Aufschrift RIVA 8 km. Ich konnte nicht anders, kurzer und spontaner Entschluss, links abbiegen!

Ich spekulierte damit, dass sich mein Rad bei schwierigeren Wegeverhältnissen durch den längeren Radstand stets gut bewährte; aber was ist mit dem ca. 18 kg schweren Gepäck? Für den Entschluss sprach auch, dass ich bisher auf der Küstenstraße ständig Gegenwind hatte, die Straße bog rechtwinklig in den Wald ab. Also, neben der 20 km kürzeren Strecke ein weiterer, zumindest zeitweiser Vorteil.

Ich kam gut voran und erreichte Riva, nein nicht Riva sondern einen Wegehinweis zum Dorf an den gleichnamigen Fluss. Übrigens, Riva… wem klingeln da nicht die Ohren? Luigi „Gigi“ Riva, ein begnadeter Stürmer und Torschützenbester Italiens. Er schoß Deutschland bei dem Jahrhundertspiel zur WM 1970 in Italien beim 4: 3 mit seinem Tor in der Verlängerung aus dem Turnier. Er starb leider im Januar 2024 an den Folgen eines Herzinfarkts in seiner sizilianischen Heimat.

Ich überlegte kurz, noch zum Ort zu fahren. Glücklicherweise hielt ein Autofahrer auf mein Zeichen hin an und sagte, dass dort nur noch wenige Häuser bewohnt wären und dass es auch keinen Einkaufsladen geben würde. Im nächsten Ort Apriki sei ein Laden. Den nutzte ich zu einer ersten Pause.

Ich setzte mich auf einen kleinen Holzstuhl, wohl eher für Kinder geeignet. Plötzlich knackte es und die Lehne entfernte sich von der Sitzfläche:

Es tat mir Leid, war aber nicht zu ändern. Der nächste Ort war Ãizpute, in der auf einem Hügel eine gewaltige Burgruine thronte. An einer Straßenkreuzung sah ich ein interessantes Radwegehinweisschild. Ich war fast den ganzen Weg zwischen Küstenstraße und hier auf einem gekennzeichneten Radweg unterwegs, ohne dass es vorher irgendeinen Hinweis darauf gab und dann noch diese Schotterpiste!

Ich weise aber noch auf zwei Besonderheiten hin: Ich bemerkte mehrmals, dass Einheimische nicht den lettischen Namen benutzen sondern den deutschen Hasenpoth. Das traf ich bisher nur bei Kuldiga/Goldingen an. Und die zweite Sache war, dass das Rathaus mit großen chinesischen Drachen über die gesamte Hausfront geschmückt war. Ist hier schon die erste Kommunenübernahme im Baltikum durch China geplant oder …?

Ich muss aber unbedingt weiter und darf mich nicht so mit Kleinigkeiten beschäftigen. Plötzlich sehe ich am rechten Straßenrand versteckt in einem Gebüsch eine junge Kuh beim Fressen. Ich dachte so, angesichts meiner derzeitigen Anstrengung in sehr hügeligem Gelände mit mehreren Schwestern der “ Steilen Wand von Meerane“,: Wie gut hat sie es – im Gegensatz zu mir – fressen, saufen, schlafen und ..?

Plötzlich fühlte sie sich offensichtlich belästigt, lief zurück zu ihrer Herde um Hilfe anzufordern.

Und sie kamen auch! Ich hatte noch nie so viele verschiedenfarbige Kühe auf einer Weide gesehen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass vielleicht so mancher denkt: Hat er sie nicht mehr alle? Erst zerstört er die Ruhezone eines Lebensmittelladens, dann sieht er mitten in Europa chinesische Drachen… Was wohl noch so kommen mag?

Fahrt ihr mal so scheinbar sinnlos Tage lang auf irgendwelchen Straßen herum, da wollen wir mal gucken, was mit einem passiert? Aber bitte, keine Angst um mich haben, ich bin extrem auf Sicherheit bedacht, denn ich will auf keinen Fall auf eines meiner Knieprothesen fallen und auch niemals …

Was schreib ich denn jetzt, denn nach einigen Kilometern blieb mir nichts anderes übrig, als mit dem Rad die Autobahn A 9 von Riga nach Liepaja zu befahren. Ich wollte dieses Risiko minimieren, verpasste aber diese quer verlaufende Schotterpiste, die ich ursprünglich nördlich von Kalvene nehmen wollte, diese war aber leider falsch.

Die „Autobahn“ war aus meiner Sicht keine richtige Autobahn, zweispurig und nicht nur für Kraftverkehr zugelassen, da kein Verbotsschild für Fußgänger oder Radler zu sehen war. Ich bemerkte sogar ein kleines Holzhäuschen neben dem Fahrbahndamm, für vielleicht 2- 3 Personen. Man kam zum Pausenplatz nur über die Straße zu Fuss! Für Autofahrer nicht geeignet, da kein Parkplatz vorhanden war, nicht einmal ein Fahrradständer. Es war ziemlich starker Verkehr von LKWs. Manche fuhren ganz dicht an mir vorbei. Ichbewegte mich, falls möglich, rechts von der Sperrlinie. Mir saß die Angst auf den ca. 15 km in den Gliedern.

Plötzlich kam der Abzweig nach Priekule. Der Asphalt wechselte auf sehr schlechte Schotterpiste und da es vorher sehr stark geregnet hatte, sank ich in den Bereichen mit Sand deutlich ein. Es war wieder sehr hügelig und ich schob das Rad einige Male. Irgendwann erreichte ich nach etwa 80 km den Ort Priekule. Ich stellte fest, dass es keine offiziellen Übernachtungsmöglichkeiten für Fremde gab und so schaute ich mich um. Ich suchte mir einen vermeintlich kleinen öffentlichen Sport- und Spielplatz aus. Als ich mich dort zu schaffen machte, erschien ein Mann mit zwei Jungs im Gefolge. Er wollte wissen, was ich hier auf seinem Privatgelände wolle. Ich erklärte ihm meine Situation und er willigte ein, dass ich mein Zelt aufstellen könne. Er sagte ich sei nicht nur der erste ausländische, sondern auch insgesamt der erste Camper überhaupt auf seiner Fläche. Im Gespräch stellte sich heraus, dass er in seiner Firma, aus Dänemark kommende, OLDIE CARS restaurieren würde. Die Kinder Theo und Hugo, ja ihr lest richtig, bereiteten ein Lagerfeuer vor. Der Vater zeigte mir seine Firma und vor Samstag kam ich nicht zum Schlafen. Wir fachsimpelten und seine Frau brachte für mich ein Abendbrotsandwich vorbei, als sie die Kinder abholte.

Da ich noch so ca. 80 km bis Rietavas vor mir hatte, aß ich Frühstück und versuchte die Zeltplanen in der Morgensonne trocken zu bekommen, da es gegen morgens geregnet hatte. Ich habe noch nicht erwähnt, dass für mich eine Toilette, Wasser, Sitzgelegenheit und sogar Stromanschluss vorhanden war.

Nach ca. 14 km überfuhr ich eine Brücke, die einen Bach überwand. Hier ist die Grenze von Lettland nach Litauen. Die Fahrt verlief ohne weitere Höhepunkte bis am Ausgang eines Kreisverkehrs hinter Plunge ein blauer Pickup an einer Bushaltestelle anhielt. Das Auto kam mir bekannt vor! Es gehört VALDAS. So ein Zufall.

Er hatte ab vormittags ein größeres Tischtennisturnier und kam auf die Sekunde genau richtig an dem Kreisverkehr an, an dem sich unsere Wege kreuzten. Er sagte, dass er auf der anderen Straße einen Radfahrer mit viel Gepäck sah. Das könne doch Reinhard sein? Wir begrüßten uns herzlich und er fragte mich, ob er mich mitnehmen solle. Ich dachte, ob ich nun die 20 km noch fahren würde oder nicht…? Genug sei es auf jeden Fall, und so können wir länger zusammen sein.

Er brachte mich zu dem von Monika und mir bereits im vergangenen Jahr bewohnten Hotel MUSKATAS. Uns gefiel die sehr freundliche und zuvorkommende Bedienung sowie die hervorragende Küche. Das belgische Bier Grimbergen hatte ich hier 2022 erstmals getrunken, und es schmeckte mir hervorragend.

Abends gab es mit Valdas noch einen kleinen Plausch parallel zum Elfmeterkrimi der Engländer gegen die Schweizer bei der Fußball-EM. Wir vereinbarten, dass wir am Sonntagnachmittag etwas gemeinsam unternehmen wollten.

Als wir aus dem MUSKATAS Restaurant losfahren wollten, kam eine sehr große Gruppe von Kindern in das Restaurant, einige in Tarnkleidung, wie es bei Armeen üblich ist. Valdas sagte, dass sie eine Woche im Wald gelebt hätten und wegen starken Regens die ursprünglich vorgesehene Zeit verkürzen würden. Valdas kannte den Leiter sehr gut und so bat er mich, bei Ihnen Platz zu nehmen. Fotografieren durften wir auch. Der Sohn des Chefs kam auch mit seiner Mutter vorbei. Er „musste“ den Neuen etwas beschnuppern. Meine Erzählungen über meine Reise wurden mit viel Erstaunen und Interesse aufgenommen.

Valdas fuhr mit mir an seiner Firma vorbei und zum Dorf Tauravas, wo er als Kind 9 Jahre wohnte. Er zeigte mir seinen früheren, 4 km langen Schulweg, den er mindestens nachmittags immer ging. Wir fuhren direkt zu seinem Haus, in dem er mit Eltern und Geschwistern bis 1981 lebte. Petras, der jetzige Bewohner war ein enger Freund seines Vaters und wohnte ursprünglich im Nachbarhaus. Valdas fragte auch die Ehefrau Vincenta, ob er mal kurz mit seinem deutschen Gast herein kommen könne. Da sie sich viele Jahre nicht gesehen hatten, musste Valdas ausführlich über seine Firma und über die letzten Jahre berichten. Es gab auch viel zu erzählen, wie es nun den Kindern gehen würde. Über mein Tun waren sie sehr erstaunt, nicht nur auf das Rad bezogen. Den Wunsch, die Heimatstadt des Vaters zu besuchen, wurde mit viel Respekt aufgenommen und nicht so sehr die Tatsache, dass diese in der russischen Exklave liegt.

Nach diesem Besuch fuhr Valdas zu einer Wasserquelle. Nachdem ein hiesiger Arzt auf die enorme Heilwirkung des Wassers durch sehr viel enthaltende Mineralien aufmerksam machte, ist vor kurzem mit Unterstützung von Finanzquellen aus der EU begonnen worden, das Gebiet touristisch zu entwickeln. Viele Opfersteine weisen in diesem Hügeligen Wald darauf hin, dass bereits vor vielen Jahrhundrten dort rituelle Zeremonien abgehalten wurden.

Zum Teil konnte der neue Weg schon benutzt werden, es ging aber auch noch direkt an der Bachsohle entlang, was nicht ganz ungefährlich war.

Mit einiger Mühe erreichten wir die Quelle, bei der Valdas vorher noch nie war.

So ging ein wunderbarer, ereignisreicher Tag zu Ende, auch vollständig ohne zu radeln. Morgen wollte ich in die Firma von Valdas fahren, um das völlig verschmutzte Rad zu säubern und zu pflegen.

Abends war ein entspanntes Tischtennisturnier vereinbart, bevor es am Dienstag in die Nähe der Memel weiter gehen würde. Aus zeitlichen Gründen bei den anderen blieben wir zu zweit. Er schlug mich souverän. Beim lockeren Spiel hinterher vorwiegend über die Diagonalen zuerst mit Vor- danach mit Rückhand lief es bei mir besser. Ich konnten ihm auch Tipps geben, wie er künftig auch mit der Rückhand schmettern könne.

Bei einem Telefonat mit meinem heimatlichen Freund Günther nahm er Bezug auf den Ausspruch, der um 1806 in Berlin gekreist sein sollte: “ Unser Demel flieht nach Memel.“ Und schon hatte ich einen geschichtlichen Bezug zu der Gegend, die ich als nächstes bereisen werde. Unter der Gefahr der Einnahme von Berlin floh der preußische König Friedrich Wilhelm III. mit seinem Hof nach Königsberg und später nach Memel/Klaipeda.

Der nachfolgende Kartenausschnitt stellt sowohl die Strecke von Jürkalne nach Rietavas dar, aber auch die noch zu bewältige Strecke bis zum Grenzfluss von Litauen zum Kaliningradski Oblast. Wahrscheinlich werde ich im Bereich dieses Flusses von Dienstag zu Mittwoch auf einem Zeltplatz übernachten und dann sehen, auf welchem Weg ich die Grenze passieren kann. Eine Möglichkeit wäre die Luisenbrücke, die hinüber führt nach Sowjetsk/Tilsit. Diese Stadt ist nicht nur bekannt für den Tilsiter Käse sondern mit dem TILSITER FRIEDEN wurde der vierte Koalitionskrieg zwischen den europäischen Großmächten 1806/07 beendet.

Heute am Montag, den 08. Juli, war ein Ruhetag angesetzt. Was heißt Ruhetag, es waren einige interessante Tage im Blog festzuhalten, einige Säuberungen vorzunehmen: Das Rad war von den vielen Sandtouren bei Regen völlig verdreckt, wie meine Schuhe nach der Wanderung mit Valdas zur Wasserquelle ausgesehen haben, ist sicherlich vorstellbar und Wäsche waschen muss ja auch mal sein. So nutzte ich bei Valdas in der Firma die Möglichkeiten zum Auffrischen des Rads.

Auf dem Weg zurück in die Stadt ergab sich die Möglichkeit, die auf einem Hügel angelegte Stadt in Angesicht zu nehmen.

Ohne die Geschichte von Rietavas zu kennen, scheinen ihre Gründungsmotive ähnlich zu sein wie bei meiner Thüringer Geburtsstadt Hildburghausen. Während eines Praktikums innerhalb meines Greifswalder Geographie-Lehrerstudiums im Fachbereich Siedlungsgeographie untersuchte ich deren Gründungsgeschichet und schrieb eine Studienarbeit. Hildburghausen wurde im 12. Jhd. an der Salzstraße von Nürnberg nach Leipzig an einer Furt des Flusses Werra angelegt.

Ich werde morgen früh, am Dienstag, den 09. Juli, versuchen zeitig loszufahren. Es besteht nämlich die Chance, trotz der ca. 100 Kilometerstrecke, bereits am gleichen Tag in Sowjetsk mein Quartier aufzuschlagen. Je näher ich der litauisch-russischen Grenze an der Memel kam, je mehr befiel mich eine gewisse Unsicherheit, ein bisschen Bammel vor dem Künftigen. Die Gründe, warum etwas nicht so wie gewollt laufen kann, sind vielfältig und können nicht nur von einer Seite der Grenze kommen.

Wie sich ursprüngliche Pläne oder Hoffnungen ändern können… Heute ist Mittwoch, der 10. Juli, und ich bin immer noch in Litauen, im Land der Störche und im Land der freundlichen Menschen. Wieso das?

Meine Tagesetappe für den Dienstag war im günstigsten Fall bis Panumene, der Grenzstadt an der Memel und gegenüber, getrennt durch die Luisenbrücke , liegt das ehemalige Tilsit heute Sowjetsk. Ich bin gestern ungefähr 92 km gefahren und dennoch fast 60 km von der Grenze entfernt… Ich nenne diese beiden Umwege mal nicht Abkürzungen. Bei Google Maps kann man hier keine Fahrradruten planen, nur Auto oder Fußgänger. Ich hatte mich für Fußgänger entschieden! Es ist aber ohne WLAN, Google Map oder einer sehr guten Karte fast unmöglich, die kleinen Orte zu finden, die ich gespeichert hatte.

Auf den Umwegen sah ich tolle Landschaften und kleine Dörfer

In Śilale faszinierte mich erneut der prächtige Kirchenbau. Aber noch mehr nahm mich der Stadtsee in Besitz. Wahrscheinlich wäre ich auch dann hinein gesprungen, wenn am Seenrand keine kleinen Umkleidegebäude gestanden hätten.

Nach dem erfrischenden Bad drehte ich noch eine kleine Seerunden und stärkte mich in einem modernen Cafe direkt am See. Wie ich später von Valdas erfuhr, ist das auch für ihn einer der Lieblingsorte.

Leider ging das ziellose Umherfahren weiter. Ich wollte das Fahren auf den Hauptverkehrsachsen vermeiden. Mein Versuch, den in der Google Maps Karte vorgegebenen Streckenvorschlag zu nutzen, hätte wieder in eine Sackgasse geführt, wie mir eine sehr freundliche Familie verriet.

Der Chef des Hauses Juosas, was bei uns Johannes heißt, sagte wir haben eine separate Schlafmöglichkeit, sei unser Gast. Es entstanden auf englisch und russisch mit der 85-jährigen Oma mit der Ehefrau Edita sowie den 12. und 10. Klässlern Titas und Rohas sowie einem Arbeitskollegen von Juozas intensive Gespräche. Mit dem Rad wurden mehrere Ehrenrunden gedreht und hervorragend bewirtet. Dem Alkohol wurde glücklicherweise nur eingeschränkt gehuldigt, da früh auf Arbeit häufig Null Komma Null-Alkoholkontrollen durchgeführt werden.

Es war fast niedlich anzusehen, wie die Gattin Edita ihrem Mann half, den neuen Kontakt mit mir anzulegen.

Viel Spass bereiteten die Proberunden mit dem DIAMANT und es musste natürlich intensiv in Augenschein genommen werden. Besonderes Interesse fand erwartungsgemäß der Teil des Fahrrades, der für einen erheblichen Lärm sorgen kann.

Die beiden Jungs haben mir dieses prächtige Frühstück serviert.

Wir haben uns recht intensiv über deren Schul- und über meine Lehrerzeit ausgetauscht. Mit großem Interesse lauschten sie meinen Worten, in denen ich die mündliche Deutsch-Abi-Prüfungsszene von Enkel Eddi mit der Textstelle von Turgenjew sowie dem Treffen zwischen einem bettelnden armen Greis und einem jungen Mann beschrieb.

An deren Computer habe ich meinen Blog aufgerufen und mit großer Überraschung festgestellt, dass innerhalb weniger Sekunden das Deutsch in Litauisch übersetzt wurde. Ich dachte dabei, was macht er wohl mit meinen vielen Tippfehlern? Der Übersetzer muss ziemlich intelligent sein…

Nun ist es schon wieder kurz vor 12 und die Außentemperatur geht schon wieder auf die 30 Grad zu. Was soll’s, keiner schenkt mir weniger Kilometer; noch vor dem Abend werde ich, nur Hauptstraßen benutzend, auf der Luisenbrücke stehen!!!

Nun ging’s auf der 164 zunächst in das 29 km entfernte Taurogge. Ich „bummelte“ etwas, die Hitze und der nicht leichte Abschied von dieser liebenswerten Familie fielen mir schwer. Ein bisschen wird es auch ein Abschied von Litauen sein.

Einen Ort vor Taurogge konnte ich eine Maschine bewundern, die gerade einen Kanal unter einem Weg vorantrieb. Vielleicht hat Valdas diese verkauft und sorgt sich mit seinem Service um sie? In T. angekommen kam auch gleich mein Tagesetappenziel in meinen Blickpunkt.

Von Taurogge war ich sehr positiv überrascht. In der zentralen Busstation war auch eine Touristeninfo integriert. Zu meinen Fragen, wie ich z. B. mit dem Rad die Grenze an der Luisenbrücke zwischen Panumene und Tilsit passieren kann, hatte sie nur eine Antwort: Täglich fährt um 12.45 Uhr ein Bus nach Panumene; er nähme auch Fahrräder mit. Selbst dahin zu fahren, schien ihr bei 32 Grad Celsius unvorstellbar.

Ich hatte aber free wifi und Strom und konnte mich im klimatisierten Raum etwas erholen. Es ging auf der Autobahn vorbei an einer alten und gewaltigen Burg, geschmückt mit einer riesigen Hirschskulptur. Ich nahm ein Restaurant ZUR BURG wahr, wo ich kurz entschlossen um 17 Uhr Abendbrot essen wollte. Ganz tolle Bluesmusik und eine nette junge Kellnerin hatten mich empfangen. Das Essen schmeckte hervorragend, dem Rad immer einen Blick schenkend.

Ich kam auf die Idee, mich um Unterkunft in Tilsit zu kümmern. Einen Campingplatz wird es dort nicht geben und an der Memel wild zu zelten entfiel völlig, wie leicht nachzuvollziehen ist. Beim zweiten Versuch klappte es im obchodni dom. Ich kündigte mich mutig zu gegen 21 Uhr an.

Am Ortsausgang von Taurogge bemerkte ich rechts von einer Brücke einen Stausee sogar mit Badenden. Den Wunsch, sich ihnen anzuschließen, verwarf ich in Sekunden. Könnte ich doch nach 34 km an der Memel sein! Es ging erstaunlich schnell voran. Auf den ersten 10 Kilometern gab es außerhalb der Stadt einen separaten Radweg. Die Straße war zudem sehr breit und erhielt vor kurzem einen neuen Asphaltbelag. Die Straße war sehr wenig befahren und so kam ich unter 2 Stunden vor Panumene an.

4. Ins Land der Vorfahren

Die litauischen Grenzanlagen kündigten sich mit großen Kontrollgassen an, ich entschied mich, nach links abzubiegen in Richtung neuer Autobrücke. Es war niemand zu sehen und auch alle Schalter waren unbesetzt. Mit dem Rad könne ich aber immer vorbei! Kurz vor der Memel war zu sehen, dass dieser Weg total außer Nutzung war. Hier auf den gesperrten Straßen einfach weiter zu schieben, fiel selbst mir nicht ein. Also zurück. Wieder 7 km umsonst gefahren.

An der Luisenbrücke wieder das Gleiche! Soll wieder alles umsonst gewesen sein? Ein Einheimischer sagte mir aber, mit Rad ist die Grenze passierbar. Nun kümmerten sich drei litauische Beamte und sechs russische um mich, vorwiegend weibliche. Es lief sehr freundlich ab, aus dem Büro nahm ich sogar leichtes Schäkern war. Auf der russischen Seite wurde drei Mal (!) fast das gesamte Gepäck gecheckt. Selbst die schwarze Drogenspurhündin Darja fand nichts! Nur das Gestänge des Ein-Mann-Zeltes verunsicherte die russische Kontrolleurin etwas. Sie gab sich aber mit meinen Erklärungen zufrieden.

Es machte schon einen sehr martialischen Eindruck, nicht nur auf der russischen Seite. Der Weg zur Brücke war auf der litauischen Seite mit Maschendraht nicht nur seitlich, sondern auch gewissermaßen als Dach völlig hermetisch abgeschirmt!

Vor dem Brückenbeginn ist das zu erkennen. Der russische Zollhauptmann interessierte sich sehr für mein DIAMANT. Was müsse man bezahlen und was ich damit täglich fahren würde. Ich sagte, 50 Mark der DDR hatte ich 1973 bezahlt. Damit verriet ich ihm nicht nur, wo ich lebte sondern auch, dass zollmäßig hinsichtlich des Rads nichts zu holen sei. Er wollte sich genauer auf russisch über Einfuhrbestimmungen unterhalten. Mit meinem Hinweis, letzter Russischunterricht 1969, war ihm klar, dass er es wohl mit freundlichen Grüßen für eine glückliche Weiterreise belassen müsse.

Vor dem „obchodni dom“ wartete noch ein weiterer Radler, Wladimir. Er wohnt in Königsberg und befuhr seinen Oblast, vorwiegend im Zelt wohnend. Da für diese Nacht Starkregen angekündigt wurde, stieg er auf Festunterkunft um.

Heute werde ich mit ihm Tilsit besuchen. Übrigens, ich hatte hier noch nie den Städtenamen Sowjetsk gehört. Selbst wenn einer Kaliningrad sagt, wird sofort korrigiert KÖNIGSBERG. Auch viele Russen sind wohl dabei, ihre sowjetische Vergangenheit abzulegen.

Zum Frühstück gab es erstmalig bei mir Burger, den Anna, die freundliche Hotelmitarbeiterin kurz zuvor beim Nachbarn holte. Sie verriet mir auch, dass heute Abend die Disco im eigenen Haus bis morgen früh zum Tanz einlädt.

Wladimir hatte die Fortsetzung seiner Königsberger-Oblast-Rundfahrt vorgesehen und wollte mich früh aber noch zu einer Bank bringen. Dabei sind wir in den nächsten Starkregen gekommen. Hierbei sahen wir die russische Variante der Oberflächenwasserbehandlung, die ohne Kanalisation für die Abführung des Dachregenwassers auskommt.

Nach dem Bankbesuch konnte ich mir nun auch ein paar Wünsche erfüllen, wie z. B. original russisch essen. Da wäre doch …

…Borschtsch geeignet. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich diese Speise letztmalig gegessen hatte.

Was macht man noch in Tilsit? Zunächst fällt mir die berühmte Luisenbrücke ein.

Wer mich ein bißchen kennt, der vermutet, dass ich in der Memel versuchen würde zu schwimmen. Zunächst glaubte ich nicht daran, dass das in einem Grenzfluss möglich sei. Als ich über die Brücke gestern lief, sah ich Personen bereits dort auf der russischen Seite flußaufwärts baden.

Was ist noch aus Tilsit bekannt neben dem Tilsiter Käse? Ich erwähnte bereits den Tilsiter Frieden. In einem wunderbaren Museum wird die Rolle der preußischen Königin Luise von Mecklenburg-Strelitz hervorragend gewürdigt.

Als Besonderheit zeigte mir die Museumsmitarbeiterin einen Thronsessel von Luise, dessen Sitzfläche auch hochgeklappt werden konnte und in dem sich auch ein Boudoir Verwendung fand.

Der Film über den Tilsiter Frieden und die Verbindung von Königin Luise zu diesem Landesteil Preußens wurde in einem, dem Stil der damaligen Zeit angepasstem, Raum gezeigt. Die freundliche Dame brachte mir einen Mokka mit Gebäck. Wo hat man das sonst noch? Schließlich hatte ich ja 500 Rubel für den Eintritt und 150 für eine Kunstpostkarte bezahlt, übrigens fast so viel wie das drei Gänge Menue zum Mittagessen (zur besseren Orientierung sei noch vermerkt, dass ich auf der Bank für einen Euro 95,38 Rubel erhielt).

In dem in Deutsch besprochenen und gemeinsam mit dem Förderverein des Schlosses Hohenzieritz erarbeiteten Video wurde ausführlich auf die Sommerresidenz der Mecklenburg-Strelitzer Herzöge und deren Familiengeschichte verwiesen. Desgleichen wurde ein Museum in Zelenogradsk erwähnt, dass die dramatische Flucht der schwer erkrankten Luise im Winter 1806/07 von Königsberg nach Memel/Klaipeda sowie ihr enges Verhältnis zur deutschen und litauischen Bevölkerung des Memellandes beschreibt. Vielleicht kann ich diesen Ort bei meiner weiteren Planung mit einbeziehen?

Das Hotelzimmer kostete mit Frühstück 2600 Rubel. Auf Wunsch bekam ich früh eine Kanne Tee plus Mineralwasser gereicht, und das ohne zusätzlich berechnet zu werden …

Kurz entschlossen beschloss ich abends, selbst auf einen Kurzbesuch der Diskothek zu verzichten und mich für die anstehenden Tage zu sammeln und zu recherchieren. Es regnete über Nacht sehr stark und ich dachte an Wladimir, wie er wohl die Nacht im Zelt überstehen würde. Ein ereignisreicher, und radbezogen nicht so anstrengender, Tag neigte sich dem Ende zu.

Der Routenplaner schlug mir zwei Varianten nach Insterburg vor, eine 61 km lange zunächst in Richtung Königsberg verlaufende und eine andere, dem Memelfluss folgende und 68 km lange Strecke. Diese hatte gestern Wladimir gewählt und sie verläuft zunächst durch das Städtchen Njemen. Erstaunlicherweise gibt es bei Googel keinen Hinweis auf diese Stadt. Ich erfuhr lediglich, dass im russischen Sprachgebrauch der Fluss Memel bezeichnet wird als Njeman. Da schwirrte mir noch die Bezeichnung Normandie-Njemen im Kopf herum, was verbindet die nordfranzösische Provinz mit diesem Fluss oder mit dieser Stadt?

General Charles de Gaulle organisierte Anfang der 40er Jahre den französischen Widerstand gegen das nazistische Deutschland. Im März 1942 vereinbarte er mit der Sowjetunion, dass die in Syrien befindliche französische Fliegerstaffel auf Seiten der Sowjetunion gegen Deutschland kämpfen wird. Diese Einheit erhielt den Namen „Normandie-Niemen“ und wuchs auf Geschwadergröße an. In ihr kämpften insgesamt 100 französische Piloten.

Ich entschied mich, die Niemen -Variante zu nehmen und vielleicht nach Spuren aus den 40er Jahren zu suchen. Dafür sprach auch, dass ich nächste Woche auf der Fahrt von Insterburg nach Königsberg einen Großteil der anderen Route befahren werde.

Am Freitagmorgen verabschiedeten sich Anna und ein jüngerer Hotelmitarbeiter sehr freundlich mit einem „dobro pützsch“ (guten Weg) von mir. Sie zeigten mir die Stätte gestriger/heutiger nächtlicher Vergnügungen.

“ Warst du zu müde, um mit uns zu feiern…?“

Sogar mit Stangen für „specially acts“ und einer Art „Vorführring“ war eine Art Bühne ausgestattet.

Bei meiner gestrigen Ankunft in Insterburg sah ich auch eine Bar mit der Bezeichnung MATHEON, wohl eine russische Kette?

Durch Tilsit fuhr ich langsam und gemütlich, wie man es auch auf den teils sehr schlecht befahrbaren Straßen machen kann. Es gab einen Sicherheitsvorteil, das grobe Kopfsteinpflaster mit seinen Löchern und mit den Straßenseen war auf breitesten Boulevards verteilt.

Stadtauswärts kam ich auf einen, erst vor kurzem aufgetragenen Asphaltbelag und das blieb bis zum 68 km entfernten Insterburg. Es gab auch kaum Chancen für „Abkürzungen“ wie in Litauen, da ich ca. 40 km ab Uljanowo immer dem Instertal flussabwärts auf der Westseite folgte. Und das war einfach, selbst für mich.

In Niemen entdeckte ich keine Hinweise bzgl. der Jagdfliegerstaffel Normandie/Niemen. Aber, auf einem kleinen Wochenmarkt sprach mich ein Mann an. Ich war ziemlich überrascht und wirklich baff! In einem unbekannten Land, einer unbekannten Stadt werde ich erkannt. Gestern hatte ich keinerlei Kneipen- oder Straßengespräche…

Als ich auf der russischen Seite der Luisenbrücke die Einreisekontrollen fast abgeschlossen hatte, sprach mich ein Offizier wegen des Oldierades an und fragte, wieviel hast du fürs „veloziped“ bezahlt und wann? Er war sehr erstaunt über meine Antwort: „50 Mark der DDR im Jahre 1973.“ Es war nun auch klar, dass zolltechnisch wohl gar nichts zu machen sei. Er wusste sogar noch, wohin und aus welchem Grund ich Insterburg besuchen würde. Ich kaufte bei ihm ein paar Auberginen und einige besondere und schmackhafte Tomaten von einer neuen Sorte.

Auf der weiteren Fahrt durchfuhr ich nur einen etwas größeren Ort Uljanowo, wahrscheinlich benannt nach Lenins Geburtsstadt. Am Ortsanfang sah ich rechts eine Heldenalleemit vielen Fotos, Blumen und Stelen . Es leuchteten bald danach zwei hellblaue in der Sonne leuchtende hellblaue Kuppeln einer russisch-orthodoxen Kirche.

Zwei ältere Damen waren nach einigem Zureden bereit, mir das Innere des sakralen Baus zu zeigen.

Ab Uljanowo sah ich auch wieder einige Störche und ab diesem Ort fuhr ich am rechten Rand des Instertales bis zu meinem Ziel. Es mehrten sich am Straßenrand die Pflanzen meines Namens, fast wie zu meiner Begrüßung.

Ich quartierte mich in Insterburg im besten Haus Hotel KUTSCHAR ein, direkt an der ehemaligen Hindenburg- jetzt Leninstraße. So war es nicht weit, um der Stadt abends einen ersten Besuch abzustatten. Und ich war total überrascht, es gab mehrere separate Geh- und Fußgängerbereiche und sehr viele rekonstruierte Häuser und viele innovativ gestaltete Parks. Das mit den Parks erwartet man ja schon von Russland. Was ich aber sah, übertraf völlig meine Vorstellungen.Um den Schloss- und den Stadtsee führte eine beleuchtete Fahrradrunde und vielartige Spielvarianten zogen Kinder, Jugendliche und Familien an. Über die Inster führten mehrere Brücken u.a. eine sehr wacklige Fußgängerbrücke, die ich bei meiner Anfahrt mit Gepäck gerade so überqueren konnte.

Für den nächsten Tag, Samstag, den 14.07., entschloss ich mich, die Stadt zu erwandern.

In herrlicher Umgebung, dem Stil des beginnenden 19. Jahrhunderts angepaßt, genoß ich das Frühstück. Vor mir die damalige Hindenburgstraße in historischer Ansicht mit Tramwai. Heute existieren nur noch die Oberleitungen. Auf meine Bitte hin wurden auch die am Vortag gekauften Auberginen gegrillt.

In der Touristeninformation, in der Pionierskaja Ulitza gelegen, erfuhr ich den jetzigen Namen der Simon-Dach-Strasse, in dem meine Familie väterlicherseits Anfang des 20. Jahrhunderts wohnte. Es ging über 3 bis 4 Kilometer in eine Gartenbausiedlung vorbei an „Neu“bauten aus den 50/60er Jahren. Auf ein Foto von den Häusern verzichte ich hier, interessanter Weise war der Zugang stets durch ein Zahlensicherheitsschloss gesichert.

Mir ist bereits häufiger das Phänomen untergekommen, dass von mir nach der Adresse Befragte, keine Auskunft geben konnten. Selbst wenn das Ziel nur wenige Hundert Meter entfernt war.

Am Geburtshaus von Papa Kurt angekommen, sprach ich mit dem jetzigen Besitzer Igor und erfuhr, dass er das Grundstück 1990 kaufte. Er gestattete mir, seinen Garten fotografieren zu können.

Das Nachbargrundstück hatten mit seinen Besitzern nicht so viel „Glück“.

Wieder in der Stadt angekommen, erlebte ich eine große Überraschung. Als ich die nach dem Heiligen Bruno, der Vorname unseres jüngeren Enkels, benannte katholische Kirche besuchte, erlebte ich ein ganz spezielles Ordensfest, das Geistliche aus allen Teilen des Königsberger Gebietes zusammenführte.

Ich konnte mit mehreren Personen deutsch sprechen. Eine Ordensschwester aus Tilsit interessierte sich sehr für meine Reise und kam herzhaft ins Lachen, als sie den Text meines T-Shirts anlässlich der Eröffnung der Rügenbrücke im Oktober 2007 durchgelesen hatte.

Ein älterer Herr lebte ursprünglich in der Slowakai und wohnt nun in Königsberg. Eine andere, etwas ältere Dame kam aus dem Saratower Gebiet und war noch nie in Deutschland. Ich wurde aufgefordert, am Mahl teilzunehmen, und es ergaben sich vielfältige Gespräche.

Diese Kirche dominiert das Stadtzentrum ebenso wie der berühmte ehemalige Wasserturm ein Highlight der Stadt ist.

Ich erfuhr von hiesigen Geistlichen, dass die evangelische Gemeinde zur Zeit keinen eigenen sakralen Bau hat. Die ehemalige protestantische Kirche wurde in eine russisch-orthodoxe Kirche nach gründlicher Renovierung umgewandelt.

In der Kirche sagte mir eine dort Beschäftigte, dass es keine kirchlichen Dokumente mehr zu Mitgliedern dieser Gemeinde geben würde.

In der Nähe fand ich auch die – vermutlich – ehemalige Schule meines Vaters mit dem Sporthallenanbau.

Aus Berichten meines Vaters weiß ich noch, dass seine Schule und die Kirche sich gleich hinter dem Tunnel unter den Eisenbahngleisen befunden hatten. Ich weiß auch, dass er gerne zum Schwimmen in der Inster gewesen sei. Ich ging also zur schon bekannten Fußgängerhängebrücke und dem Sportstadion. Zu meiner Überraschung las ich, dass das Baden im Fluss verboten sei. Bei einer kleinen Pause kam ich auf meinem Tablet fast zufälligerweise auf die Selbstporträt-Taste. Nach vielen Jahren mal wieder mit Sonnenbrille…

Ein Radfahrer machte mir aber Mut, gehen sie ruhig weiter. Es gibt dort eine Badestelle. Und ich war total überrascht, ich fand das Flußbad mit einer eigenartig in Pilzform gebauten „Umkleidekabine“. In dieser Badestelle hat sich sicherlich auch mein Vater vergnügt. Ich halte es für möglich, dass die unten sichtbaren Bauten bereits in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Badenden genutzt wurden. Ich hatte also auch die Badestelle meines Vaters gefunden!

Ich kam auch ins Gespräch mit Jugendlichen, scherzhaft wollten sie mir ihren Ältesten als Sohn „unterjubeln“,

Zurück in der Stadt beeindruckten mich nicht nur die vielen, in neuem Glanz erstrahlten, Häuser sondern auch die vielen Graffitis u.a. an Spielplätzen platziert.

Ich füge noch einige Aufnahmen von der Innenstadt hinzu.

Das im linken Bild auf der rechten Seite befindliche Haus mit hellblauer Außenfarbe wurde 1924 errichtet und beherbergt jetzt das bekannte Restaurant HERKULES.

Nun etwas zur Verständigung. Sie ist mir nur schwer möglich, selbst so eine einfache Wortverbindung, wie …. informationalnui zentre dla touristui ….wird seltenst erkannt. Ich selbst verstehe von den schnell Sprechenden so gut wie nichts. Selbst mit den kyrillischen Buchstaben komme ich immer noch nicht so richtig zurecht! Wer kann relativ schnell erlesen, worauf die nachfolgende Reklame hinweist?

Bemerkenswert sind die Viefalt der Denkmäler, so wird in einem Park und Denkmal an die Opfer des Reaktorunfalls in Tschernobyl gedacht.

NIEMALS VERGESSEN heißt es bei dem, den Opfern des II. Weltkrieges zu Ehren, gewidmeten Park.

Die Kindermusikschule befindet sich in der Pionerskaya Ulitza in einem großen Gebäudekomplex und ehrt im Vorgarten Peter Tschaikowsky.

Ein sehr intensiver Tag mit vielfältigsten Gesprächen und Eindrücken ist zu Ende und ich spüre eine gewisse Zufriedenheit.

Gestern wollte ich ursprünglich gegen ein Uhr mit dem Zug nach Königsberg fahren. Ich hatte aber aus der Abfahrtstafel nicht entnehmen können, dass er am Sonntag nicht fährt, der nächste würde erst nach fünf fahren. Nun war guter Rat teuer. Das Risiko, auf der Autobahn zu fahren, die sicherlich wesentlich mehr befahren sein wird, wie die Strecken zwischen Taurogge und Tilsit sowie weiter nach Insterburg. Auf die Idee, auf dem Busbahnhof nach Fahrmöglichkeiten zu fragen, kam ich leider nicht.

Bei einer, dieses mal Morgen-Fahr-Runde hatte ich endlich das Schloss bzw. die Burgruine gefunden. Ich dachte vorher fälschlich, dass es zwei verschiedene Ruinen sind. Die Russen sprachen immer von Zamek. Zum Glück fand sich ein deutscher Schäferhund ein, der mein Rad während meiner Besichtigung treu bewachte.

In der Nähe des Turismusinformationsbüros fiel mir schon vorher in einem Park ein gewaltiges Reiterdenkmal auf. Ich hatte diese Person auch in anderen Gelegenheiten schon gewürdigt gesehen. Es handelt sich um einen ehemaligen Kriegsminister des Zarenreiches, der sich u.a. in den Schlachten im Jahre 1812 gegen Napoleon großen Ruhm erwarb. Er übernahm die Kriegslist der „verbrannten Erde“, die ein anderer russischer General gegen schwedische Invasoren bereits erfolgreich angewendet hatte (Moskau wurde bekanntlich verlassen und so Napoleon die Versorgungsmöglichkeiten entzogen. Ob der Großbrand von Russen bewußt gelegt wurde oder durch die Kriegswirren entstand, ist in der Geschichtsschreibung ungeklärt).

Diese erneute Vorgehensweise wird nach einer der vielen Russifizierungszyklen fälschlicherweise – und auch bei uns üblich – Kutusow zugeschrieben. Es handelt sich nämlich in Wirklichkeit um den Deutsch-Balten mit schottischen Wurzeln Michael Andreas Barclay de Tolly. Ihm wurde durch die freiwillige Aufgabe von Moskau, Feigheit vor dem Feind unterstellt, und er wurde als Kriegsminister für eine kurze Zeit in Unehren entlassen.

Ich fuhr kurz vor zwei in Richtung Königsberg los und wurde sehr freundlich von zwei Jungs verabschiedet, die auf einem Garagendach spielten. Der junge zehnjährige baltische Matrose erkundigte sich, woher ich kommen würde und was ich vor hätte. Er erzählte mir stolz, dass er deutsch lernt und es auch gerne spricht. Sie waren beide sehr zugetan und interessiert, wie heißen deine Kinder, wo genau wohnst du,… ?

Die Autobahn war, wie von mir befürchtet, ziemlich voll und Sonntagsfahrverbot scheint es hier nicht zu geben. Teils war die Autobahn zweispurig und vereinzelt war sie vierspurig. Vorwiegend bereits erneuert, aber manchmal auch mit Kopfsteinpflaster versehen, welches teilweise schon abgesackt war und darüber hinaus recht eng. Ich bemerkte, dass der Damm rechts von der Strasse mit Schotter belegt war, ich also etwas erschwert durch einen Graben und hoch auf ihn mühsam geschoben. Ich kannte ja das Fahren auf solchen Schotterpisten schon. Plötzlich bog der Weg ab und ich konnte noch ein bißchen im Grasland weiter fahren, bevor es in einen breiten nur durch Schieben überwindbaren Bereich mit tiefem, weichen Sand kam. Ich sah vor mir eine Zufahrt zur Autobahn von meiner Seite. Ich hoffte, dass ich so wieder ohne große Mühen auf festen Untergrund kommen könne. Aber denkste. Ich musste das Rad irgendwie über die Fahrbahnbegrenzungen wuchten und vorher das Gepäck herunternehmen. Ich hatte so ein Glück, dass mir ein Einheimischer beim Überwinden half. Er ging mit seinem Hund spazieren und war sehr drahtig und zum Glück sehr kräftig. Nur mit geringer Unterstützung von mir hob er das mit dem Gepäck belastete RAD über die Fahrbahnbegrenzung.

Etwas später sah ich eine Schwanenfamilie an einem kleinen See neben dem Fluß Pegel.

In vielen Dörfern, durch die die Autobahn direkt führte, verkauften Frauen eine recht groß gewachsene Sorte an Pilzen sowie Obst, Gemüse und frische Eier. Der Verkehr nahm genauso zu wie die Temperatur. Ich machte an einem Verkehrsknotenpunkt Pause und entschloss mich, mit Bus die andere Hälfte zu fahren. Weiterfahrt wäre selbst mir auf dieser Straße etwas zu riskant.

In Königsberg angekommen, sagte ich mir, was willst du hier in einer so großen Stadt und noch ohne Plan? Ich fuhr also nach einer halben Stunde Aufenthalt gleich mit dem Bus weiter nach Zelenogradsk. Der moderne zentrale Autobusbahnhof war genauso sicherheitstechnisch abgesichert, als ob es gleich hinter den Kontrollen zum Flugzeuggate gehen würde. Durch Königsberg fuhr er wie eine städtische Linie. Ich fragte mich, hier kann jeder ohne eine Gepäck- und Personenkontrolle einstiegen und wenige Hundert Meter vorher wird so ein riesiger Aufwand betrieben…Die Russen hatten aber bekanntlich in den letzten Jahren mit Terroraktionen zahlreiche Opfer zu beklagen und so wird dieser hohe Aufwand im Sicherheitsbereich gerechtfertigt sein.

Zelenogradsk, das ehemalige Deutsch-Kranz, ist in den letzten Jahren extrem „aufgehübscht“ worden, ein Fußgängerbereich schließt sich an den anderen an. Ich bin nach dem ersten Eindruck dazu geneigt zu behaupten, dass sich selbst Binz und Zingst hinter diesem Prunk und Glanz verstecken können. Und am Sonntag Abend so voller Gäste. Es ist aber m. E. in diesem Ort total überzogen mit der Sucht nach dem schnellen Geld. Zum Beispiel war in einem Hotel kein Zimmer mehr frei. Als ich schon außerhalb des Hauses war, kam eine Frau der Rezeption mir hinterher gelaufen und rief auf russisch in etwa, „wir haben doch etwas gefunden.“ Ich ging zurück und bekam das Angebot:18.000 Rubel für eine Nacht und für eine Person ( der Umtauschkurs war in Tilsit 1 € : 95 Rubel ).

Ich fand kein Quartier! Nur mit Hilfe von Elena, einer jungen ehemals in Moskau lebenden Russin, bekam ich auf der kurischen Nehrung im Örtchen Lesnoi in einer Art Luxusquartier für eine Nacht Unterkunft. Zu meinem Glück hatte Sie sich so lange um ein Bett für mich gekümmert bis sie/wir Erfolg hatten. Es war aber inzwischen dunkel und ohne Navi und Karte hätte ich das Hotel wahrscheinlich nicht gefunden. Sie baute ihren Van um und mit ein bißchen Geduld war das Rad verstaut und die Heckklappe ließ sich schließen. So fuhren wir kurz vor 23 Uhr direkt in das Hotel. Erstaunlicherweise hatten nach telefonischer Anfrage von Elena selbst die beiden, in der Nähe befindlichen, Campingplätze nicht einmal Platz für mein kleines Zelt.

Es ging natürlich am nächsten Morgen an den Strand, der sich unmittelbar neben dem Ressort befand. Einige Außenanlagen wurden direkt in die Düne gebaut, bei uns wahrscheinlich undenkbar.

Was erlebte ich?

Wie ihr vielleicht schon bemerkt habt, mit dunklen Wolken zog ein heftiges Gewitter auf.

Die Fahnen hatten heftig zu kämpfen und ich stellte mir vor, ich hätte gestern einen Platz zum Zelten bekommen…

Das Frühstück habe ich mir in angenehmer Atmosphäre wohl schmecken lassen.

Ich wollte den heutigen Tag nicht wieder ohne vorherige Übernachtungsplanungen angehen. So bemühten sich freundlicherweise einige Restaurantmitarbeiter, eine junge Dame – auf dem Foto links – sprach sehr gut deutsch, um Übernachtungsmöglichkeiten. Leider ohne Erfolg. Von Rüdiger, meinen Radbekannten, den ich 2022 auf der Bootsüberfahrt von Nida nach Ventaine traf, hatte ich eine Guest-House Empfehlung im kleinen Fischerdorf Rybatschi. Die Adresse desbobchodni dom war in Google zu ermitteln, aber weder Telefonnummer noch E-Mailadresse. Also wieder kommt es auf den Versuch an.

Auf den beiden, in der Nähe liegenden, Zeltplätzen war eine Platzreservierung für ein Fahrrad plus Ein-Mann-Zelt nicht möglich! Wahrscheinlich wäre das in Deutschland unmöglich.

Also wieder, VERSUCH MACHT KLUG ! Die Fahrt ging weiter bis in das 23 km entfernt liegende kleine Fischerdorf Rybatschi. Wird mich da ein ähnlicher Snob oder Geldrausch wie in Zelenogradsk begegnen?

Aber so schnell geht’s nicht mit dem Losfahren. Ich hörte aus der Hinterachse sofort ein schlimmes Geräusch. Erster Gedanke: Beim Entladen aus dem Toyota gestern Abend ist die Kette heruntergesprungen. Nein: Die Strebe auf der anderen Seite der vorherigen Reparatur in Roja/Lettland war gebrochen und ist auf die Kette gerutscht. Fürs Erste genügte es, die Strebe wieder auf das entsprechende Gegenstück zu setzen und das Rad fuhr sich auch normal und geräuschlos. In Rybatschi muss ich mich natürlich um eine Lösung bemühen. Ich dachte, traust Dir doch dem Oldie eine Menge zu, dieses viele Gepäck und dann noch die teils sehr schlechten Straßen. Bisher ist aber alles ziemlich unproblematisch ausgegangen!

Wie erhofft: NEIN. Kleine Häuser reihen sich aneinander. Die meisten Urlauber scheinen die vielen Exkursionen zu verschiedenen Aussichtspunkten und Besonderheiten des Nationalparks „Kurische Nehrung“ zu bewundern. Auf der Straße waren heute auch besonders viele touristische Busse unterwegs und ich sah immer wieder kleinere Expeditionsgruppen. Erstaunlicherweise waren die Wege zum offenen Meer fast immer gesperrt. Zum Binnengewässer, zum Haff, führten viele Wanderwege ab. Im Gegensatz zum litauischen Teil der kurischen Nehrung (hier sah man teilweise auf beiden Küstenseiten hohe Dünen) war von Dünen hier noch nichts zu sehen, bis auf einen kleinen Ort der Djüne hieß (erstaunlicherweise kann ich auf meiner Tastatur nicht auf kyrillische Buchstaben umstellen, so was ALTMODISCHES !) Oder, ich kann es nur nicht, wäre für mich aber auch so okay.

Falls möglich, befuhr ich einen auf der Haffseite vorhandenen separaten Geh- und Radweg. Es wird im Moment an einer breiten Betonschneise gearbeitet, die aber noch bei Wegquerungen unterbrochen ist und auch ansonsten noch große Lücken ausweist.

Bei meiner länger andauernden Suche nach dem Guest House (obchodni dom) sah ich an einem See etwas außerhalb des Ortes, wie eine neue Ferienhaussiedlung im Entstehen ist.

Zur Begrüßung in meinem neuen Quartier gab es von der sehr freundlichen Betreiberfamilie Riima und Iwan Ermakova im geschmackvoll angelegten Garten eine Tasse Kaffee und kleine Snacks.

Ich fragte Iwan wo ich den Schaden mit der gebrochenen Gepäckträgerstrebe reparieren lassen könnte. Da er mehr als 30 Jahre auf einem Betriebshof der Nationalparkverwaltung beschäftigt war, genügte ein kurzer Anruf. Wir beide fuhren hin, und etwas später war auch das freundlicherweise erledigt. Abends fuhr ich an den Ostseestrand und war total überrascht, wie viele am Strand waren. Nach dem Baden beobachtete ich das Strandleben: Junge Mädchen, die sich für hunderte Aufnahmen in allen möglichen Posen präsentierten, intensiv Gymnastik Betreibende, manche waren eher mit Tanzübungen beschäftigt, manche jüngere Pärchen hatten sogar spezielle Werkzeuge mit, um wunderbare Figuren aus dem Sand zu formen und andre, die sich auf dem Nach-Hause-Weg über diese Sandskulpturen sehr freuten. Kinder betrachteten sie lange und, vielleicht im Gegensatz zum heimischen Ostseestrand wurde nichts durch Menschenhand oder -füße zerstört!

Bis nach 21 Uhr waren noch sehr viele am Strand geblieben. Sun Set ist auch hier sehr beliebt. Zwei ( kriegerische ) Figuren thronen auf einer Düne, fast den Strand bewachend, und auf der anderen Seite des Strandzuganges eine – offensichtlich die jetzigen Sicherheitsinteressen dienende Einrichtung. Der eine der beiden Kämpfer stellt einen Moskauer Großfürsten dar, dem es gelang, mit den verschiedenen Fürsten im Stammesgebiet im 14. Jahrhundert eine gemeinsame Streitmacht im Kampf gegen einen mongolischen Großmogul zu formen. Er gilt als Gründer der russischen Nation, so verriet mir ein russischer Familienvater.

Ich schaute mir am nächsten Tag auf einem längeren Spaziergang das Dorf Rybatschi, früher Rositten, etwas genauer an. Die alte Schule, die ehemals protestantische Kirche nun auch slawisch orthodox und den Fischereihafen. Nix da, vom Hafen ist nichts zu sehen. Wie auch sonst häufig zu sehen, die Fischereikolchose hat sich vollends mit einem Wellblechzaun abgeschottet und zur Haffseiten türmen sich zwei riesengroße Steinhaufen als Überbleibsel der ehemaligen Fischverarbeitungsfabrik. Ich dachte an Kamminke mit seinem wunderschönen Fischereihafen, der seit meinem ersten Besuch 1966 bis heute offen ist und ein touristisches Schmuckstück des am Oderhaff liegenden Fischerdorfs ist. Daran anschließend befinden sich die großzügigen Außenanlagen des Hotelkomplexes Altrimo. Erst von dort aus erschließt sich der Blick auf die Hafenpier sowie auf das Kurische Haff.

Im sich darüber befindlichen regionalen Fischereimuseum fand ich bei der Museumsmitarbeiterin Olga Erstaunliches:

Ein Fisch, der nicht nur radeln sondern zur Schneezeit sich auch mit Skiern gut fortbewegen könne.

Viele Drucke, Malereien und Installationen wurde dem Museum von Künstlern übergeben/gekauft von Künstlern, die in diesem Fischerdorf arbeiteten.

Neben zu erwartenden Dingen in einem Fischereimuseum erinnerte mich so manches an meine Schulzeit. In so manchen Ferienlagern der 60er Jahre benutzten wir die ATRAS Taschenlampen. Es lagen hier sogar auch die Stabtaschenlampen aber nicht in der bei uns verwandten Art. Oder die Triumphator (mechanische) Rechenmaschine war hier als FELIX ausgestellt:

Zur besseren Präsentation durfte ich diese freundlicherweise von ihrem „Gefängnisdasein“ kurzeitig befreien.

Ich konnte aber auch eine Bitte erfüllen. Mich bat Olga die Arbeitsweise dieses, in Russisch als Generator bezeichneten, Objektes zu erklärten. Einige Besucher würden sich danach erkundigen, sie konnte das aber bisher nicht. Also gleich ran, Erinnerung an meine – parallel zur Abiturausbildung – laufenden Lehre von 1965 bis 69 zum Technischen Rechner war sofort präsent “ Rückwärts drehen bis zum Klingeln“ fand sie richtig lustig …

Sie erkundigte sich intensiv, ob es in diesen oder in benachbarten Orten noch deutsch stämmige Bewohner geben würde, die das ursprüngliche ostpreußische Platt sprechen würden oder auf ursprüngliche Art z.B. die KIELKES herstellen würden. Nach einigem Abfragen schlug sie mir eine gemischte Exkursion mit einem Mitarbeiter der Vogelschutzwarte in die Natur aber auch zum Dorf vor.

Nach ca. einer halben Stunde stand Alexej mit seinem Rad vor der Tür und los ging es. Zunächst mal zu ihm nach Hause, dort sattelte er sein Pferd.

Ich dachte mit Schrecken, sollen wir nun beide reiten, wie soll ich da hoch kommen? Meine bisherige „Karriere“ beschränkte sich auf eine halbe Stunde Ausritt auf einer gutmütigen Oma oder Opa in Obermützkow in der Nähe von Stralsund. Bei allem guten Willen, das wird nichts!!!

Und zum Glück, es kamen noch ein Bekannter und ein Hund hinzu. Abwechselnd fuhren sie Rad oder bestiegen das stolze Pferd.

Gleich um die Ecke ging es zunächst zu einem ziemlich gut deutsch sprechenden Nachbarn von Iwan. Offensichtlich wurde er bereits auf den Besuch vorbereitet. Er sagte mir, dass schon seit sehr vielen Jahren die letzten deutschen Bewohner diese Gegend verlassen hatten (freiwillig oder mit Druck?) Vielleicht eine Mischung oder wie heute oft Migration aus wirtschaftlichen Gründen. In Primorsk würde es einen Russen jüdischer Religion geben, der sich für Exkursionen mit Deutschen diese Mundart angenommen hätte und sich – seines Wissens – eher einer litauischen Variante bedienen würde. Sie kommen leider um Jahrzehnte zu spät, sagte er mir. Mein Oldie betrachtend sagte er, ich sammle alte Räder, aber so etwas Altes wie mein Rad hätte er leider nicht. Auf Wunsch könne ich mal vorbeikommen.

Nach diesem ersten Stopp ging es hinaus zu dem See, den ich am Vortag schon kennengelernt hatte und weiter zum ehemaligen deutschen Friedhof, der von Mitarbeitern der Vogelschutzstation betreut werden würde.

Zum Abschluss ging’s zur 1901 von J. Thienemann gegründeten ersten Vogelschutzstation in der Welt. Wir trafen aber die erhoffte Person nicht an und so ging es zum Glocke spielen. Auf dem Weg dahin dieses Idyll:

An der Kirche angelangt, bereitete er die Glocken vor und spielte mir ein kleines Stück vor.

Von seinem beglückenden Spiel angelockt, kamen vier hübsche junge Russinnen um die Ecke. Da er inzwischen sein Pferd dem Kumpel übergeben hatte, das Finanzielle mit mir erledigt war, hatte er nun freie Hand für sein Spiel.

Im Museum bedankte ich mich für die hervorragende Idee hinsichtlich der Ortsbegehung. Die Tochter von Olga war inzwischen bei Mutti zu Besuch. Ich hatte mir für den morgigen Tag Mittwoch, den 17.07., eine Fahrt nach Morskoje und der mit 62 Metern höchsten Düne der kurischen Nehrung Djüne HOHE ELFA (vysota elfa) vorgenommen. Die zehnjährige Ludmilla, kurz Milla, sagte, dass sie gerne Rad fahren würde und sie schlug vor, mich begleiten zu können. Sie lernte englisch in der Schule und würde das gerne ein bisschen sprechen.

Zu 10 Uhr verabredet, saß sie mit gepackten Rucksack und modernem Rad auf ihrer Bank und los ging es. Meiner Verantwortung war ich mir natürlich bewusst, und fuhr immer hinter ihr ein bißchen mittig zur Straße hin. Es war für mich total bemerkenswert, ihre Fahrweise mit der meinen zu vergleichen. Dieses schützende Hinterherfahren bei vorsichtigem Tempo. Wenn sie vor einer engen Kurve ein Fahrzeug sich nähern hörte, bemerkte ich sofort, Unsicherheit beim Fahren: Tempo leicht verringert und geringe Lenkausschläge. Scheinbar ermüdeten auch ihre Hände relativ schnell, was ich aus dem immer wieder erst links dann rechts erfolgendem Ausschütteln der Hände vermutete. Sie fuhr vorbildlich ganz rechts und nutzte separate Radwege. Ich stellte insgesamt erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen uns fest, wobei eine zeitliche Versetzung beim Einsetzen von Ermüdungserscheinungen als normal anzusehen ist.

Zunächst besuchten wir den Tanzenden Wald, der wohl ungewöhnlichste Teil des unter anderen mit Bergkiefern Ende des 19. Jahrhunderts angelegten Waldes. Wodurch diese im Bodenbereich sehr stark gekrümmten Kiefern – fast Ringe bildend – entstanden sind, ist noch ungeklärt. Ohne übertreiben zu wollen, ist es aber angebracht, hier von einem der mystischen Naturwunder zu sprechen.

Nach meiner Reise erfuhr ich, dass im Eingangsbereich zu diesem besonderen Teil des Waldes noch die Fundamentreste der dort von 1921 bis 1945 betriebenen bekannten Segelschule befinden. Beim Besuch des Natinalparkmuseums werde ich später darauf Bezug nehmen.

Kurz danach erreichten wir die Düne „vysota eva“. Ich hatte diese in Unkenntnis übersetzt als Hohe Eva. Der Amateurornithologe Rüdiger Ebert, den ich bereits 2022 auf der Memelüberfahrt traf, klärte mich über den richtigen Namen der Düne auf: Sie heißt Epha`s Höh und ist benannt nach dem ostpreußischen Düneninspektor Franz Epha, der an der Stabilisierung der Wanderdünen auf der kurischen Nehrung beteiligt war. Seine hervorragende Bedeutung für diese Region ist auch daran ablesbar, dass noch heute auf dem historischen Friedhof von Rossitten sein Grab neben dem des Vogelprofessors J. Thienemann gepflegt wird.

Nach einer Stärkung am überfüllten Parkplatz der Ephas Höh ging es gemeinsam mit hunderten, vorwiegend russischen, Touristen auf einen völlig neu und sicher angelegten Holzsteg, vorbei an einer Fotogelegenheit mit einem großen Uhu.

…ging es hoch auf fast 60 Meter mit beeindruckenden Ausblicken.

Der höchste Punkt der Düne ist bereits dicht mit Kiefernwald bewachsen und der Blick geht bis kurz hinter Morskoje, aber nicht bis nach Litauen.

Nach einem entspannten und beeindruckenden Ausflug war ich etwas erleichtert, der Mutti ihre Milla wieder nachmittags im Museum übergeben zu können.

Meine Gastfamilie hatte auf ihrem Grundstück zwei Bungalows zur Vermietung an Urlauber. Ich sah des öfteren eine Familie mit ihrem etwa 17-jährigen Sohn. Ohne dass ich vorher ein Wort mit ihm gewechselt hatte, schenkte er mir eine Zeichnung vom Königsberger Dom, welchen Immanuel Kant häufig aufsuchte, wie ermir gegenüber betonte. Er war Schüler der 11. Klasse und interessierte sich sehr für Architektur. Bei dem folgenden intensiven WhattsApp Kontakt sendete er mir viele Fotos vom Interieur dieses Domes und von der Petersburger Eremitage. Er sprach deutlich besser als ich Englisch und möchte Architekt werden. Bei dem Gespräch bat er mich, meineGedanken zu unserem Treffen in einem poesiealbumähnlichen Buch festzuhalten.

Am Nachmittag entdeckten vier neue Gäste von Familie Ermakova mein Fahrrad und waren über die sonderbaren Teile, die letztlich die Glocke bilden, überrascht. Es gab für sie keinen Sinn, Kette etc. am Rad mitzuführen. Ich drehte eine Runde auf dem Rasen im Garten und als ich klingelte lachten alle sich so kaputt, es war fast das „Tot lachen“ zu befürchten. Aber dazu ist sie ja nun wirklich nicht dran.

Für den Donnerstag nahm ich mir den Besuch der haffseitig vom Nationalpark angebotenen Wanderwege oder den Besuch von Zelenogradsk mit dem Königin Luise gewidmeten Museum vor. Auf dem Rückweg könne ich ja zum Beispiel im Örtchen Djüne aus dem Linienbus aussteigen. Der Name müsse doch einen Grund haben, den es zu ergründen galt.

Da ich mich etwas länger in Russland aufhalten werde, tauschte ich auch bei Serbobank zu einem geringfügig besseren Kurs als in Tilsit 50 Euro nach. Es war erstaunlich viel Schalterbetrieb völlig im Gegensatz zur Stralsunder Deutsche Bank Filiale, was das auch immer heißen mag…

Ich aß zu Mittag in einer Taverne namens SKIPPER eine leckere Fischsuppe und trank einheimisches Dunkelbier. Die freundliche Serviererin brachte mir noch Wasser in einem Schnapsglas. Ich dachte, zusätzlich Wasser, das kenne ich manchmal beim Servieren von Kaffee aber bei diesem Gedeck? Und Moment Mal, was mögen Skipper früher zum Essen getrunken haben? Na bestimmt kein Wasser. Und richtig. Die Fischsuppe mundete gut zusammen mit dem Wodka und so war der Preis der Fischsuppe auch wieder etwas angenehmer.

Vielleicht ist auch ein Stopp im Besucherzentrum des Nationalparks drin. Denn dort wird für Samstag, den 20.07., ein Folklorefestival angekündigt. Dafür lohnt es sich doch, eventuell etwas länger zu bleiben?

Nach längerem Durchfragen fand ich die Turgenjew Ulitza 10. Das Gebäude kam mir auch bekannt vor. In diesem blieb Luise einige Tage im Winter 1806/07, weil sie mit ihrem Mann, König Friedrich Wilhelm III., fürchteten, dass Napoleon Königsberg einnehmen würde, weil er nur noch 50 km mit seinen Truppen davon entfernt war.

Es kam mir schon etwas komisch vor, denn vor dem Haus spielte ein Vater mit seinen beiden Söhnen Federball. Ich ging nichts ahnend an Ihnen vorbei und in das Haus. Ich wunderte mich über den inneren Zustand, vergleichend mit dem prächtigen Museum in Tilsit. Ein Sohn öffnete die Haustür von außen und fragte mich, was ich hier wolle. Dies sei ein Privathaus von einem Museum für die Königin Luise wisse er nichts, nur dass sie hier mal gewohnt hatte, und sie jetzt in diesem Haus wohnen würden.

Ich ging wieder zurück ins Zentrum. Ich entdeckte von der Strasse Kulturni Prospekt ganz zufällig einen Wasserturm und oben gingen Personen. Ich ging den kürzesten Weg und ordnete mich in die Besucherschlange ein. Neben der Nutzung als Besucherturm werden die anderen Bereiche für Sonderausstellungen genutzt. Es scheint momentan die ganze Stadt sich im Katzenfieber zu befinden. So wurde eine Stopp-and-Go-Ampel mit Katzenmotiven sehr häufig als Fotomotiv genutzt.

Im Eingangsbereich fiel mir gleich die folgende Grafik auf.

Für das Entziffern der Überschrift reichten meine Schulrussisch-Kenntnisse aus. Um aber den wahrscheinlich enthaltenen hintergründigen Humor zu verstehen, muss wohl bestimmt das Slowar / Wörterbuch zur Hand genommen werden.

Von oben eröffnete sich ein herrlicher Blick. Besonders auffällig waren, der sich fast ums Zentrum windende Halbring mit mindestens zehnstöckigen Neubaublöcken. Aber nicht in dem Sinne wie es vielleicht verstanden werden könnte. Es ist stark zu vermuten, dass das alles Eigentumswohnungen bzw. Apartments sind und im geringem Maße von Einheimischen genutzt werden.

Es fiel mir noch etwas auf. Ich befand mich oberhalb des Hotels mit dem Sonntagabend-Sonderangebot von 18.000 Rubel für eine Nacht und eine Person. Das Hotel heißt PARADOX und hat sogar ein Dachschwimmbad anzubieten. Na dann…

Um es nur zu erwähnen, die kurze Vorsilbe „Butik“ hatte ich am vergangenen Sonntag bemerkt, ich war aber so unter Druck, dass ich jede Chance zumindest prüfen mußte.

Es fiel mir noch etwas auf.

Bezogen auf die Höhe des Turmes war das Geländer schon erstaunlich tief und dann noch einen Hocker als Kletterhilfe zur Verfügung zu stellen? Bei unseren Behörden wie Unfallgenossenschaft, Bau-, Gewerbe- und Gesundheitsamt und… und … wäre bautechnisch sicherlich einiges nicht genehmigungsfähig.

Da ich erst den Bus um 17.50 Uhr schaffte, war es nicht mehr denkbar zwischendurch noch einmal auszusteigen, weil das mit dem Risiko einer längeren Wanderung nach Rybatschi oder einem Trampversuch verbunden gewesen wäre. So drehte ich in Rybatschi noch eine kleine Fahrradrunde in Richtung Nationalpark. Eine Abfahrt von der Landesstraße ging zu dem Hotel und Restaurant LOSINI DVOR mit großzügigen Außenanlagen, einem Museum und einem der vielen Ausstellungen von Militärtechnik der russischen Armee. Ein Parkplatz führte zu einem Steg an den Rand eines etwas größeren Sees namens TSCHAIKA.

Bei der Fahrt zum kurischen Haff hatte ich das Glück, dass die vielen Wolken der Abendsonne eine kleine Chance ließen. So gestattete sie mir vom Hotel ALTRINO aus diesen Blick auf die Pier des Fischereihafens und auf das Haff.

Am Freitag besuchte ich den südlichen Teil der kurischen Nehrung. Wanderte auf einigen von der Nationalparkverwaltung erlaubten Wegen. Zunächst auf Müllers Höhe. Sie ist benannt nach dem ostpreußischen Oberförster Müller, der sich u.a. mit Aufforstungen sehr verdient gemacht hat, um die Wanderdünen zum Stehen zu bringen, aber auch Wanderwege anlegen ließ. In zu Ehren wurde auf der Höhe eine Gedenkstätte angelegt. Von der über 40 m hohen bewaldeten Sanddüne hat man einen wunderschönen Ausblick nach Rybatschi, zum Binnensee Tschaika/Möwe, sowie zur Ostsee und zum kurischen Haff.

Obwohl es schon nach 12 war, sind deutlich weniger Interessenten zur Düne hoch gegangen wie auf dem Weg zu Ephas Höh.

An den ostpreußischen Oberförster Müller, der sich u.a. mit Aufforstungen sehr verdient gemacht hat, um die Wanderdünen zum Stehen zu bringen, aber auch Wanderwege anlegen ließ, wurde auf der Höhe eine Gedenkstätte angelegt.

Es fanden sich aber doch einige Wandernde ein, und es ergaben sich an den Treppen und am Turm interessante Draufsichten.

Bei Jung und Alt sind natürlich ihre Smartphones stets präsent. Auf der Dünenhöhe hatten die Bäume, insbesondere die Kiefern, ein sehr schweres Überleben, etwas weiter unten sah es aber schon besser aus.

Es ging weiter zu einer Vogelberingungsstation am Rande der Dünen. Mit dem Thüringer Prof. Dr. Johannes Thienemann begann, wie bereits erwähnt, 1901 diese wichtige Naturschutzarbeit. Auf einer Schautafel las ich, dass er über seine mehr als 30 Jahre dauernde Tätigkeit in Rossitten ein Buch mit lustigen Momenten schrieb. Ich habe nach Beendigung meiner Reise seinen 1927 geschriebenen Roman gelesen. (Quelle:“Rossitten. Drei Jahrzehnte auf der Kurischen Nehrung“, Reprint der 3. Auflage, Verlag von J. Neumann-Neudamm, ISBN 3-89104-591-3.)

Obwohl er 1938 in Rositten verstarb, habe ich in der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen viel über das Wirken des Vogelprofessors gelesen. Ich bitte das nicht so als Kritik zu verstehen. Diese Tatsache gründet sich meines Erachtens eher aus der hervorragenden Bedeutung, die er als Botaniker für diese Region besaß.

Auf beeindruckende Weise beschrieb J. Thienemann seine Eindrücke von einem Flug mit einem Motorflugzeug. So schreibt er im oben angegebenen Buch ab Seite 122:

„Aber eins wird einem hier oben leicht gemacht: das Dünenstudium. Wie eine natürliche Landkarte liegt die Nehrung unter uns, und man sieht, daß hier nur ein einziger zäher, gewaltiger Ordner alles zurechtgerückt hat: der Wind, der Westwind. Schau wie die großen Haffdünen ihre gelben Wanderfüße in Gestalt von langgezogenen Sandstreifen nach dem Haff zu vorschieben. Jenes Gebüsch kenne ich noch als kleines stattliches Wäldchen, und jetzt ragen nur noch einige kümmerliche Äste hilfesuchend aus den gelben verschütteten Sandmassen hervor. Dort sind die seitlichen Enden der Dünen schneller gewandert als der mittlere Kern, wodurch die charakteristischen Dünenhaken und Sicheldünen entstehen.“

Die Vögel werden in – mit Aalnetzen vergleichbaren – Konstruktionen eingefangen und beringt.

Auf dem Gelände der Vogelberingungsstation wurden mehrere kleine Holzhäuser errichtet . Diese Häuser erinnerten mich sofort an die, früher bei uns im Osten Deutschlands, sehr beliebten russischen Märchenfilme.

Es ging auch über ehemalige und jetzt noch betriebene Parks der Erholung (Park Otdücha) bzw. Campingplätze. Zu einem führte sogar ein frisch gepflasterter Weg, obwohl die Häuser offensichtlich nicht mehr genutzt werden.

Das im Besucherzentrum befindliche Museum hatte mich besonders beeindruckt. Es bezog sich auf das frühere ländliche Leben. Auf Fotos ist beispielsweise zu sehen, wie die Dünen dicht an Häuser heranrückten. Über Jahrzehnte konnte diese Bedrohung durch umfangreichste Maßnahmen bekämpft werden. Gegenstände und Fotos des ehemaligen Fischereiwesens geben ebenso einen anschaulichen Eindruck wie die Passagen zur Naturschutzarbeit sowie zu hier lebenden Tieren und insbesondere Vögeln. Es werden aber auch an die Pionierarbeit zur Entwicklung des Flugwesens zum Ende des 19. Jahrhunderts gewürdigt.

Und das noch ohne Motor, wie ihr sicherlich schon bemerkt habt.

Eine Sonderschau für Luftaufnahmen machte mich auf einen See aufmerksam, der vom Kurischen Haff nur durch einen schmalen Landstreifen getrennt ist. Ich hatte diesen See vergeblich auf Google Maps gesucht und war schon fast verzweifelt.

Nach der Reise hatte mir Rüdiger E. zufälligerweise ein Fotos von diesem See gesendet und ich erfuhr, dass er Schwanensee heißt und nördlich von Morskoje kurz vor der Russisch-Litauischen Grenze liegt. Bei einer Dünenwanderung hatte er diesen beeindruckenden Blick.

Vielleicht ergibt sich auch für mich, die Gelegenheit, diesen zu besuchen?!

Für die sehr freundliche Aufnahme in diesem guest house wollte ich mich mit einem speziellen Gericht bedanken und kaufte früh ein. Die Basis bildeten viele Milchprodukte, Gurken und Kräuter. Zum Gericht wurden Pellkartoffeln serviert:

Der Einkauf war gar nicht so einfach, konnte ich doch keine Verpackungsaufschrift lesen. Quark, Frischkäse, ein weiterer Käse sowie Brie und Salami sollen so etwas wie bulgarische Gurkensuppe und Pellkartoffeln + viele Zutaten werden. Riimi schmeckte es sehr gut und die Abendgäste schlossen sich ihrer Meinung an.

Da ich nach 13 Uhr mit den Vorbereitungen fertig war, konnte ich noch mit dem Bus zum Besucherzentrum des Nationalparks fahren. Es hatte mir ausgezeichnet gefallen, es waren aber recht wenige Gäste da, wenn man bedenkt, dass schon wegen der Aktiven selbst, üblicherweise zum Fest Familienmitglieder bzw. Freunde kommen. Nach dem Programm wurden auch die Gäste zum Mittanzen aufgefordert.

Neben den vielfältigen Angeboten in einem, direkt neben dem Museum gelegenen, Vikingerdorf zogen die Imker mit ihren Aktivitäten das Besucherinteresse auf sich.

Viele Gäste und Teilnehmer schmückten sich mit den von Mittsommernachtsfeiern bekannten Kopfschmuck und trugen Folklore- bzw. historische Kostüme.

Einige Händler hatten sich wie viele kleinere Gäste schick gemacht.

Zu Hause waren Iwan und die beiden neuen Gäste aus Königsberg angekommen. Sie probierten die Leckereien, und es mundete allen.

Iwan verriet mir noch, dass er als Hobby am Strand auf Bernsteinsuche geht. Die meisten Steine fand er ab 2012.

Riima hat trauriger Weise wenige Möglichkeiten, deutsch zu sprechen. So führten wir nicht nur am Samstag Abend als auch am Sonntag früh ausführliche Gespräche. Ich verbesserte dabei auch meine Aussprache russischer Wörter incl. richtiger Betonung.

Der Abschied fiel mir nach fast einer Woche schwer. Obwohl Riima vielleicht zehn Jahre jünger ist als ich, kamen bei ihr zum Abschied mütterliche Instinkte auf. „Du fährst nach Zelenogradsk nicht auf der gefährlichen Straße! Du fährst mit dem Bus!“Mein Argument, dass ich bereits mehr als tausend Kilometer in den vergangenen Wochen auf Straßen gefahren bin, überzeugte nicht so richtig.

Ich machte natürlich noch eine Dorfrunde. Es fiel mir ein Turm am Gästehaus ROSITTEN auf. Die freundlichen Pächter Anna und ihr Bruder gestatteten mir, mal hoch zu gehen. Das natürlich nicht ohne Foto.

Der gut zu sehende Dünenbereich liegt im Bereich der vysota eva, die ich mit Ludmilla besuchte.

Dass sich die Fischereikolchose nach außen mit hohem Blechzaum abschottet, erwähnte ich bereits. Angeregt durch obiges Foto probierte ich einen Hafenblick durch eine Zaunlücke und nahm auch Sonnenblumen ins Visier.

Bei der Fahrt aus dem Dorf heraus bemerkte ich, dass ich meinen Rucksack vergessen hatte und fuhr zum Gästehaus zurück. Da kam mir Riima mit einem Gast und Auto schon entgegen und sie übergaben mir den rucksack mit allen Dokumenten und mit dem Geld!

Mit schneller Fahrt auf einer wenig befahrenen Straße ging es zügig nach Zelenogradsk. Am Eingangstor zum Nationalpark klärte sich schnell die Ursache für den geringen Gegenverkahr auf. Am Sonntag staute sich dort eine fast 4 km lange Autoschlange.

Am Bahnhof angelangt stellte ich fest, dass wieder wie am zentralen Busbahnhof in Königsberg alle Taschen durchröngt wurden. Das war aber nicht alles.

Vor jeder Waggoneingangstür stand eine etwa 2 Meter hohe Treppe als Einstiegshife. Ohne Hilfe eines freundlichen Mitfahrers hätte mein Einsteigen wesentlich länger gedauert. Separate Fahrradbereiche sah ich nicht.

Am Bahnof Königsberg Süd erwartete mich die nächste Überraschung: Ich konnte auf einer Höhe mit der Bahnsteigplattform den modernen Wagon verlassen. Dann ohne Lift das Fahrrad mit Gepäck die Treppen hinunterwuchten. Es gab nur einen Ausgang in die Stadt, ein fast Hundert Meter langer Tunnel, für die anderen wieder Kontrollen in einer Sicherheitszone.

Nach einer leckeren Rolle (Schalmare o.ä.) ging’s „of the roud“. Ich hatte Glück, mein in Richtung Mamonowo führender Boulevard war nach weniger als 200 Metern vom Bahnhof aus erreicht. Die Fahrt ließ sich gut an, mit leichtem Gegenwind hatte ich 42 km bis zum Grenzort. Manchmal hatte ich einen Blick auf das Frische Haff hinüber zur Nehrung.

Auf der Karte sah ich bereits, dass es ein Zamek Brandenburg auf der Strecke gibt. Das war eine der vielen Burgen, die die Ordensritter im 13. und 14. Jhd. hier errichteten. Ohne Besichtigung konnte ich an diesem historischen Ort nicht vorbei fahren.

Etwas überrascht las ich in kyrillischen Buchstaben den Begriff VORBURG (vgl. unten rechtes Foto). Gibt es keine russische Übersetzung, war es ein Scherz der russischen Burgenthusiasten? Ich werde es nicht aufklären können. Wir übernehmen aber auch unverändert englische Begriffe, dann können sie es doch auch?

Die Burg BRANDENBURG bot aber auch noch einen furchterregenden Kellerraum, in dem gruselige Mittelaltermusik die beklemmende Atmosphäre unterstrich:

Kurz vor dem Grenzübergang hielt mich ein Grenzer schon in Sichtweite zu den Gebäuden an und sagte, dass dieser Grenzübergang seit 3 Jahren geschlossen ist. Direkt an der Autobahn wurde Mamonowo II errichtet. Das hieß weitere 20 km über ca. 11 km Schotterweg. Inzwischen begleitete mich der Sonnenuntergang und ich überlegte, mein Nachtlager in der Natur zu errichten, aber neben/in diesem ewigen Staub, nein!

Nach ca. 6 km Autobahnfahrt bei, im Gegensatz zu Panumene/Tilsit, überraschend starkem Verkehr, erreichte ich die sehr lange Autoschlange. Sie standen vor einem Drahtzauntor. Ich vorbei, ohne von den Fahrern angesprochen/beschimpft zu werden. Der Grenzer am Zaun ließ mich durch bis zu den Gebäuden an denen die eigentlichen Kontrollen begannen. Hier zeigten mir die Wartenden an, ruhig vorgehen zu können. Die Kontrollen waren auf beiden Seiten sehr intensiv, es fehlte nur der Spürhund von der Tilsiter Luisenbrücke. Nach geschätzten 90 Minuten war ich durch.

Bis zum Ort Braniewo (Braunsberg) waren es noch knapp 20 km. Kurz vor 24 Uhr erreichte ich ein Hotel. Ich konnte aber, „Dank Freenet“, meinem Mobilfunkbetreiber die angegebene Telefonnummer der Rezeption nicht erreichen. IM NETZ NICHT REGISTRIERT zeigte das Display. Also irgendwie mit Hilfe der Gummiluftmatratze ein Nachtlager errichten. Ich hoffte, dass ich nach den gefahrenen 140 Tageskilometern einschlafen werde.

Die Nacht verging, das Frühstück nahm ich, aus meinem Reservoir schöpfend, an Tischen vor dem Hotel und vor Geschäftsbeginn ein. Danach ging es zeitig zum bekannten, kleinen Ort Frombork/Frauenburg. Na, wer hat da einen Gedanken?

Zunächst fuhr ich ans Frische Haff zum Stadtstrand, links am Bildrand zu sehen. Danach an einer Lagune vorbei zum Frühstück in einem nett eingerichteten Restaurant in Hafennähe.

Ich sah den kleinen Fischerei- und Seglerhafen und genoss das Morgenmahl.

Der freundliche Kellner nahm meine 15 € entgegen, eine Bank würde es in Frombork nicht geben und bis in das 35 km entfernte Elbląg würde ich, hervorragend gestärkt, mit diesem Morgenmahl schon durchhalten!

Auf dem Marktplatz begrüßte mich eine der häufig anzutreffenden Skulpturen:

Na, nun ist es doch klar, kopernikanisches Weltbild. Nikolaus Kopernikus hatte mit dem Bischoff als Leumund einen guten Förderer, nachdem seine Eltern starben, als er 10 Jahre alt war. Nach 12 Jahren Studium der Freien Künste in Krakau sowie Medizin- und Rechtswissenschaften an verschiedenen oberitalienischen Universitäten kam er ins Ermland zurück, diente Jahrzehnte als einer der Domangestellten als Arzt oder in Administrationsanstellungen im Domkapitel Olzstin/Allenstein.

Seiner heimlichen Liebe, der Astronomie, widmete er seine Freizeit. Er sammelte mit einfachsten astronomischen Geräten Beweise, dass es mit der Erde als Mittelpunkt nicht hinkommen könne. Viele Astronomen drängten ihn, seine Untersuchungserkenntnisse in einem Buch zu veröffentlichen. Als Senior hatte er die Zeit und Muße. Kurz vor seinem Tod hielt er ein Buchexemplar in der Hand, nicht ahnend, welche revolutionären Veränderungen sich daraus ergeben würden.

Ich hatte noch nicht die rechte Lust, weiter zu radeln. Wartete doch noch so viel auf mich:

  • im Gebäude einer bekannten polnischen Lebensmittelkette sah ich in einer Aufschrift das Wort BANK, und tatsächlich dort gab es eine Bankfiliale und nicht nur ein Automat, ich war wieder f l ü s s i g ,
  • ich wollte schon in Zelenogradsk zum Friseur, mittlerweile nervten selbst mich Haare und Bart, gegenüber von Nicolaus Kopernikus las ich Frizeur o.ä.
  • nach gut einer Stunde würde ich ran kommen, zwischendurch nette Gespräche mit Hanna, ihrer Tochter und den beiden Enkeln.

Trotz meiner Fahrleiden ist bestimmt anzuerkennen, dass es sich, zumindest jetzt außenrum um den Kopf, etwas verbessert hatte.

Da war doch aber noch etwas? Stimmt! Frombork/Frauenburg hatte den Bischofssitz und damit die gewaltige Burg sowie den herrlichen Dom mit dem original erhaltenen Interieur. So zwei Hochaltare, der aktive in der Mitte der Halle und der prächtig vergoldete ehemalige an der Seite.

Im nordwestlich befindlichen Wehrturm wurde eine beeindruckende Ausstellung auf gefühlt 6 Etagen geschaffen.

Von oben erschloss sich ein beeindruckender Blick auf die Domanlagen, die Stadt und das Frische Haff.

Im unteren Bereich wurde ein Mondmobil auf dem entsprechenden Boden installiert.

Im Innenbereich hörte ich ziemlich viele Gäste deutsch sprechen, aber auch ein älteres französisches Paar traf ich oben auf dem Wehrturm. Das ist wohl nicht nur Nicolaus Kopernikus zu verdanken, sondern auch den polnischen Bauarbeitern, die Meisterhaftes bei Renovierung alter Bausubstanz verbringen.

Gegen 15 Uhr verließ ich Frombork, welches in mir tiefe Eindrücke hinterlassen hat, in Richtung Elbląg. Heute früh wäre es bei weitem nicht so flott durch diese Grundmoränenlandschaft mit seinen – up and downs – gegangen wie jetzt ab drei. Die gestrigen 140 km sowie der unruhige Schlaf steckten noch in meinen Knochen. Zusätzlich hatte ich Schwierigkeiten mit der Gangschaltung. Ich konnte nur noch mit großen Schwierigkeiten vom 1. Gang in den zweiten hochschalten und in den ersten wieder hinabschalten. So blieb mir zwangsläufig, durchgehend nur im ersten Gang zu fahren.

Ich bemerkte ebenfalls, dass ich über die Wochen hinweg ein gutes Gespür für Autogeräusche entwickelt hatte. Mein Außenspiegel war beim Grenzübergang Luisenbrücke kaputt gegangen und so war ich darauf angewiesen, von hinten sich nähernde Kraftfahrzeuge rechtzeitig zu bemerken, damit ich meine Fahrweise darauf einstellen konnte. ich unterschied inzwischenziemlich genau, ob die Geräusche von einem Fahrzeug stammten, was kurz vorher an mir vorbei gefahren war und das Geräusch sich somit entfernte oder ob sich mir von hinten ein Kfz. annäherte.

Nach ca. 2,5 Stunden erreichte ich Elbląg und hatte Glück, in dem stadteinwärts befindlichen, netten Hotel EUROPA ohne Vorbestellung eine Unterkunft erhalten zu haben. Nach einem großzügigen Frühstück, begleitet von zwei sehr um das Wohl der Gäste bemühten Serviererinnen, soll es am Dienstag, den 23.07., in Richtung Gdansk weiter gehen, wo ich auf einem Zeltplatz eine Vorreservierung versuchte und das auf einer polnischen Webseite.

Ach, ich vergaß, den dritten Bruch einer Strebe des Gepäckträgers zu erwähnen. Die gleiche, die in Rybatschi bereits repariert wurde. Ich hatte Glück in einer freien Werkstatt, die offensichtlich vorwiegend Unfallautos reparierte, traf ich auf einen Fachmann. Er baute den Gepäckträger ab, schleifte die Rückstände der vorherigen Reparatur ab und schweißte alles vernünftig zusammen. Ich bin überzeugt, das hält nun !

Das Rad selbst, aber insbesondere die Klingel und die Feststellbremse, begeisterten vom Obergesellen bis zum Lehrling.

Seit mehreren Tagen hatte ich Schwierigkeiten mit dem Schaltmechanismus vom 1. in den zweiten Gang und von dort auch wieder runter. Einen Großteil des Weges fuhr ich deshalb im kleinen Gang. Als ich in Elbląg losfuhr stellte ich fest, dass es auch im ersten ständig angsteinflößend knackte. Nur im zweiten, wenn ich ihn den dann mal reinkriegte, war das Knacken weg. So traute ich mich aber nicht auf die Piste.

Also Fahrradwerkstatt suchen. Der erste Chef sprach ziemlich gut Englisch, ich wollte aber etwas anderes. Er tippte nach Kurzcheck auf die Antriebe. Mein Hinweis auf Schaltungsmechanismus ignorierte er; das sei alles in Ordnung. Er habe auch keine Zeit jetzt, da viele Klienten termingerecht ihre Bikes wiederhaben wollen. Er gab mir aber noch die Adresse einer GIANT-Vertragswerkstatt, die hätten Zeit für mich. Ich dachte, woher er das wisse. War wohl eher abwimmeln.

Bei dem nächsten Fahrradhändler übergab der Chef gerade ein neues Rad. Man sah der neuen Besitzerin das Glück richtig an! Nach Übergabe widmete er sich meinem gepäckbefreiten Rad. Er meinte, im Schaltmechanismus sei wahrscheinlich etwas gebrochen, er hätte aber zur Zeit keinen Neuen zum Wechseln da. Ich entschloss mich kurz, dann ohne Schaltung weiter zu fahren. Ich dachte naiver Weise, dann fahre ich halt im Ersten weiter, wie ich es eh vorhatte…Er schnitt ein Kabel durch und entfernte kostenlos den Schaltmechanismus. Damit war er schnell fertig und wünschte gute Weiterfahrt.

Mit dem Ersten sieht man besser, oder wie heißt der Spruch. Ich wollte aber eher im Ersten (Gang) fahren. Aber Pustekuchen, der ist ja nun weg… Es fuhr sich sehr schwer, nun entschied ja das Verhältnis der Anzahl der Zahnräder vorne und hinten, die erst im Juni durch Andreas, meinem Mechaniker vom heimatlichen Fahrradhandel HEIDEN, eingebaut wurden. Und gefühlt hatte ich jetzt ständig in etwa den zwei komme fünften Gang meiner ursprünglich dreistufigen Gangschaltung. Ich aber ganz beruhigt. Vor mir liegt die Weichseltiefebene mit nur noch Steigungen auf Brücken. Nur gut, dass ich die gestrige Berg- und Talfahrt von Frombork nach Elbląg bereits hinter mir hatte, wenn auch nur mit bedingt nutzbarer Schaltung.

Es war eine erhebliche Umstellung erforderlich. Den ersten etwas steileren Anstieg bewältigte ich mit frischen Kräften. Wie lange würden sie reichen? Immerhin hatte ich ja bereits einige Trainingskilometer hinter mir…Aber die Sitzbeschwerden zum Tagesende hin, würden bei dem harten Ledersattel von GUSTI bleiben. Ich dachte schon ein und das andere Mal, wenn ich jetzt den bequemen TERRY-Sattel vom E-Bike hätte, wirklich nur diesen…

Ich fand, etwas mehr dem eigenen Orientierungssinn oder -vermutung folgend, die nördlich der Autobahn A7 verlaufende Schnellstraße mit beidseitigem Radstreifen! Fuhr sich d a s gut! Warum ist das in der BRD nicht möglich. Dank des Föderalismus – sogar im Baubereich – macht jedes Bundesland auch hier seine eigenen Gesetze. Für mich ist das völlig überzogen und bläht nur unnötig den Staatsapparat auf! In Mecklenburg/Vorpommern muss erst ein 2,5m breiter Grünstreifen neben der Straße angelegt werden, bevor ein separater Fuß- und Gehweg errichtet werden kann. Aus meiner Beobachtung von den Radtouren aus, ist es in Bayern auch möglich, ohne Grünstreifen, wie ich es gestern ebenfalls beobachtete.

Das wäre doch mal was, die BRD übernimmt als Ganzes dieses Beispiel vom polnischen Nachbarn! Und es tauchten plötzlich zwei kleine quadratische Hinweisschilder mit der Aufschrift Europaradweg 10 bzw. 13 auf. Diese waren aber sehr sporadisch und an den wichtigen Ortsausfahrten und Kreuzungen fehlten sie. So dass ich immer mal wieder auf der falschen Seite der A7 fuhr, und mehrmals in Sackgassen geriet, die niemals vorher mit einem entsprechenden Verkehrszeichen angekündigt wurden…

Ich hatte also aus mehreren Gründen heraus Zeitverzug und entschied mich 13 km vor Danzig in einem Hotel mein Glück zu versuchen und nicht eines der Campingplätze in Ostseenähe anzufahren. Nach ein bisschen Erholung „ging’s“ noch Mal in die wunderschöne aber völlig überfüllte Innenstadt. Zum Glück hatte ich wieder die E 10 oder E13, und es war vor sehr vielen Jahren eine Fahrradschneise angelegt worden. Für die mehr als 10 km lange Rückfahrt prägte ich mir bewusst die markanten Stellen ein.

Ich telefonierte morgens mit meinem Fahrradkumpel Alex, um kurz über die bisherige Tour zu berichten und  ihm um Rat zu bitten wegen des Dilemmas mit der Schaltung. Er schickte mir die Kontaktdaten von einem Fahrradshop in der Galeria Metropolis in Gdansk und wünschte mir Erfolg. Nach einem wieder einmal vorzüglichen Frühstück ging es los mit vollem Gepäck auf mir bereits bekannten Weg in die City von Gdansk. Ich durchquerte einige Gewerbegebiete und fuhr an einer großen Erdölraffinerie vorbei.

Kurz danach überholte mich ein jüngeres, polnisches Radler Ehepaar und sie grüßten beim Vorbeifahren. Mit Blick auf mein Oldie sagte er, „You have a strong speed“ und erkundigte sich, woher, wohin,… Vor dem längeren Tunnel beschleunigte ich, um ihn wegen möglicher Fahrradreparaturwerkstätten zu befragen. Sie hielten an. Nach drei Fehlversuchen bei Reparaturwerkstäten recherchierten Sie im Netz nach ‚Radreparatur von Oldies‘ und fanden in Gdynia die Firma OLD BIKE. Sie waren keine Einheimischen sondern Touristen aus dem Raum Krakow.

Ich bedankte mich für Ihre großartige Hilfe und versicherte Ihnen, diese Firma allein finden zu können. Wir tauschten unsere Kontaktdaten aus, da er mir noch die konkrete Firmenadresse übermitteln wollte, bisher spuckte ihm Google nur die Geodaten aus.

Es ging also wieder quer durch die City, ich aber mit Ortskenntnissen ausgestattet neben der Fußgängerzone. An einem der vielen Nebenarme der Weichselmündung hatte ich einen Blick auf diese kleine Insel.

Ich ging etwas näher und war sehr über die verschiedenen Maltechniken. Die in der Mitte sitzende Deutsche vermittelte sprachlich und ging das Motiv grafisch an. Die Italienerin, natürlich schwarzhaarig, erfreute ich mit einem ‚molto bene‘ und die polnische Künstlerin erarbeitete sich das Thema ebenfalls in Farbe.

Beeindruckt fuhr ich weiter an einem Architekturglanzstück vorbei, dem Głowni Gdansk (Hauptbahnhof). In Richtung Sopot bog mit einer großen Brücke über die Bahngleise hinweg, eine Stadtautobahn ab. Ich wusste, dass das die zutreffende Richtung sei, fürs Radfahren sah ich keine Hinweise. Ich fuhr zunächst neben der Autobahn auf einem Gehweg und in Höhe einer Fußgängerbrücke sah ich rechts STOCNIA GDANSK. Wer denkt da nicht, an den Gewerkschafter Lech Walęsa und die von ihm maßgeblich initiierten Streiks. Hier sah es noch richtig nach Werft aus, ganz im Gegensatz zur Stralsunder Volkswerft.

Von der Treppe auf das ehemalige Werftgebäude:

Die Seebrücke von Gdansk war sehr gut besucht. Der dichte Verkehr in der Strandpromenade war mit durchgehend getrennten Geh- und Radfahrbereichen sehr gut organisiert. Die häufigen Fußgängerschutzstreifen wurden regelgemäß überquert.

Sopot beeindruckte mit seinen Parkanlagen und herrschaftlichen Hotels. Ich sah am Hauptplatz ein offensichtlich in asiatischer Hand befindliches Gebäude.

Am Horizont deutete sich nördlich von Gdynia schon das Ungemach mit fast schwarzen Wolken an. Ca. 4 km vor meinem Ziel regnete es mehr als eine Stunde sehr heftig. Völlig durchnäßt erreichte ich den centralni park, in dessen Nähe sich die Firma OLD BIKE mit der Adresse Partyzantow Nr. 34 befinden soll. Keiner der von mir Befragten hatte je von dieser Firma gehört. An einer Treppenstufe entdeckte ich einen kleinen Werbehinweis aber trotz intensivem Ablaufen des Gebietes war nichts zu finden. An der nächsten Hauptstraße befragte ich einen Lebensmittelhändler, dessen Laden sich nur etwa 150 Meter vom Ziel entfernt befand. Er kannte die Firma OLD BIKE auch nicht und meinte nur lakonisch, dass sich im Internet vielleicht nur noch eine Adesse von einer Firma befindet, die inzwischen geschlossenen ist. Er erkundigte sich dankenswerter Weise sehr intensiv telefonisch. Und ein Lichtzeichen: Am Ende des auf der anderen Seite befindlichen Parkplatzes solle es ein Firmenschild mit diesem Namen geben. Dort müsse es sein, wenn überhaupt.

Da es inzwischen nach 14 Uhr war, erkundigte ich mich vorsorglich um eine günstige Übernachtungsmöglichkeit, falls es heute mit der Reparatur nicht mehr klappen solle. In etwa 200 Metern befindet sich ein älteres Hotel, welches für günstige Preise bekannt ist.

Ich hatte ein weiteres Mal Glück. Hinter dem Parkplatz öffnete sich plötzlich ein Zugang nach unten!

Nach dem völlig dunklen langen Gang kamen erst zwei Räume mit Kletterwänden und allerlei Trimm-Dich-Geräten und ganz rechts eine steil hinauf führende radunfreundliche Treppe.

Ich bin erst einmal ohne Fahrrad hoch gegangen. Der Chef und sein Mitarbeiter waren sehr beschäftigt. Er wolle sich aber den Schaden zunächst ansehen. Den Mechanismus für eine Drei-Gang-Schaltung hatte er gebraucht vorrätig. Ich müsse aber ein kleines , schwarzes Plasteteil haben, ohne das er mir nicht helfen könne. Oh Schreck! Habe ich es noch? Ich erinnerte mich, der Monteur in Elblag hatte mir einen kleinen Plastebeutel mit Resten übergeben, und ich fand das Fehlende schnell!

Der Chef lehnte entschieden meinen Wunsch nach schneller Reparatur ab. Er sagte, dass ich frühestens morgen Mittag das Fahrrad abholen könne. Aber das Gepäck müsse ich mitnehmen. Was nun? Glücklicherweise gab mir der Lebensmittelhändler – wohl ahnend oder nicht – einen Übernachtungstipp in der Nähe und preiswert. Ich also dorthin. Unmittelbar neben der Strandpromenade wurde das ehemalige Seefahrerheim als Hotel DOM MARYNARZA genutzt. Ein Zimmer zur Seeseite 500 Zł zur Landseite 290 Zł. (Kurs etwa 1 : 4).

Ich fragte die Rezeptionistin nach der Geschichte des offensichtlich sehr alten Hauses. Und gegen Mitternacht nach Hause kommend, übergab mir eine Frau die von der vorherigen Schicht angefertigten Kopien aus einem Buch zur polnischen Seefahrt. So ein Service.

Zurück zum Nachmittag. Nach dem ich das Gepäck ins Zimmer gebracht hatte, ging ich zurück zum Händler und Vereinbarung treffen. Da war es nun als fast einziges richtiges OLDIE. Was ist richtig in diesem Zusammenhang?

Nun war Zeit für einen ausführlichen Strand- und Hafenrundgang. Trotz des nachmittäglichen Starkregens war sehr viel Betrieb. Es kam eine Stenaline Fähre. Viele Frachtschiffe lagen auf Reede. In den vergangenen Jahren wurde die Hafencity mit modernsten Bauten „aufgehübscht“. Zwei Hafenbecken wurden vollständig von den Seglern und Motoryachten genutzt. Der Drei-Master DAR POMORZA sowie ein bei der Anlandung der Westalliierten im Jahr 1943 in der Normandie eingesetzter polnischer Kreuzer konnten als Museumsschiffe besichtigt werden.

Im mittleren Bereich der Mole wurde eine Marine-Universität errichtet und gleich daneben lädt das „Akvarium Gdynia“ zum Besuch ein. Im zentralen Fußgängerbereich präsentiert sich das polnische Militär mit Unterseeboot, verschiedenen Flugzeugen, Panzern etc.

Ich machte unterwegs so manche neue Bekanntschaft:

Die Pilsudskaja Aleja, an die der Centralni Park sowie Radservice und „mein“ ehemaliges Seefahrerhotel angrenzen, wurde offensichtlich einer Erneuerungskur unterzogen.

Zufällig suchte ich die vietnamesische Kuchnia auf. Da sie über halbwegs schnelles Internet verfügten und ich dort etwas arbeiten konnte, blieb ich länger und unterhielt mich mit der Warschauer Studentin der Finanzen mit europäischen Namen Amy, mit der Oberschülern Monika sowie mit dem Chef Sonni etwas länger.

Im Hotel angekommen, hatte ich freundlicherweise von der Rezeptionsmitarbeiterin zur Geschichte des Hauses etwas Material bekommen. Im Folgenden nutze ich eine Quelle aus dem Material www.fotopolska.eu .

Das Hotel wurde 1929 als bestes Haus im Kurort Gdynia als SPA Haus mit Casino den Gästen übergeben. Anfang der 50er Jahre wurde es als Seefahrerheim umgestaltet. Schätzt bitte selbst ein, ob dem Gebäude das vom Äußeren her gut tat.

Ein sehr ereignisreicher Tag war entspannt zu Ende gegangen, und ich schlief in diesen Gemäuern sehr gut. Übrigens, ich fuhr noch nie in so einem historischen Patenosteraufzug.

Ich erwachte noch vor halb fünf, schneller Blick ins Netz: Sonnenaufgang heute 4.48 Uhr. Also anziehen und zur Uferpromenade.

Der Blick in Richtung Hafen sollte ein bisschen die von mir erhoffte und im Wesentlichen „ausgebliebene“ Abendrotstimmung ersetzen. Was eigentlich purer Unsinn ist, dennoch

Einige Skulpturen beeindruckten mich im warmen Morgenlicht. Neben mir waren noch andere Fotointeressierte, sowie Sportler und Hundeausführende.

Aufgrund des starken Regens am Vortag und wegen des zufällig gewählten Rückweges zum Hotel konnte ich noch diesen Schnappschuss machen:

Was lag noch so nach dem Hotelfrühstück an…?

Ach ja, ich war noch ohne Fahrrad. Um 11 Uhr rief der Werkstattleiter an, das Rad sei abholbereit. Wir unterhielten uns noch ein bisschen und hoch erleichtert trat ich nach dem Packen die Weiterreise an. Da das Internet im Hotel sehr schwach war, ging ich noch zum Vietnamesen, um eine mir vom Chef Sonni empfohlene, mir aber völlig unbekannte, Suppe zu essen. Vielleicht können das Glasnudeln sein, so was hörte ich schon mal.

Heute kann es also halbwegs froh gestimmt weiter gehen in Richtung Dünen von Łeba. Ob ich die Europäische Fernradroute E 10 nehme oder die etwas kürzere Fernstraße mit geringen Autobahnabschnitten nehmen werde, entscheidet sich nach einem Besuch in der Touristeninformation. Die Westernplatte wäre ja eigentlich auch noch ein Ziel…?

Ich nahm den kürzeren Weg über Wejherova und Lembork. Łeba war abends extrem mit Touristen überfüllt. Unterkunft zu bekommen war schwierig. Sogar auf dem Morski Campingplatz war nicht einmal für mein kleines Einmannzelt ein freier Platz. Nach dem morgendlichen Blick aus meinem Dachkammerfenster kann ich das im Wesentlichen bestätigen.

Zurück aber zum Abend. Ich hatte Glück in der Pension direkt gegenüber dem Campingplatz am Meer ließ sich die Dame an der Rezeption erweichen, das letzte Zimmer auch nur für eine Nacht zu vergeben. Mein Gepäck war schnell untergebracht und so fuhr ich an den Strand. Am ersten Zugang war es ziemlich voll und so entschloss ich mich, zunächst durch de Wald in Richtung der Wanderdünen zu radeln. Es war ziemlich schwer mit dem Rad durch die Dünen zum Strand zu gelangen.

An diesen Stellen denke ich an die Beschreibungen von Prof. J. Thienamm über die beschwerlichen Fahrten mit Pferden oder Pferdekutschen vor etwas mehr als hundert Jahren. Es macht sicherlich keinen Unterschied, ob ich die kurische Nehrung, Gebiete um Łeba oder eine andere Dünenlandschaft durchquert werden mußten.

Das Abendschwimmen war entspannt, etwas Wellengang und angenehme Wassertemperatur. Der Sonnenuntergang war am ziemlich wolkenfreien Himmel zu bestaunen.

Nach erholsamen Schlaf wurde ich – ohne mir den Wecker zu stellen – beim Heller werden wach. Das bot mir die Chance zu den Dünen zu fahren, ein bisschen zu radeln und auf weichem und kühlen Untergrund spazieren zu gehen.

Ich hatte hiermit, genauso wie vor zwei Jahren in Liepaja/Lettland in einer Nacht, die Sonne schlafen gehen gesehen aber auch ihr erneutes Wachwerden. Es ist mir heute Morgen in dieser freien Dünenlandschlaft gelungen, dass man innerhalb eines morgens mehrere Sonnenaufgänge beobachten kann.

Als ich in den Dünenbereich hineinging sah ich einen jungen Fuchs, der seine Runde drehte und weiter oben im Dünenbereich bemerkte ich, wie er in den Bereich der Menschen vor wenigen Minuten einschritt.

Was ich noch bemerkte, dürfte in unserer Welt nicht häufig anzutreffen sein. Parkplatzgebühren für abgestellte Fahrräder…

Ich bin sehr erfreut darüber, dass sich viele Wünsche und Hoffnungen für diese Tour bisher voll erfüllt haben. Ganz liebe und hilfsbereite Menschen habe ich getroffen, konnte bisherige Kontakte in diese Region vertiefen und neue knüpfen. Ich habe viele beeindruckende Nehrungen und Dünenlandschaften erlebt. Ich habe auch gesehen, welche Möglichkeiten den Menschen gegeben werden, diese besonderen Landschaften aktiv zu erleben, auch unter Berücksichtigung des Naturschutzes.

Ich bin bisher ganz gut durchgekommen trotz naiver Vorbereitung durch mich. Sehr belastend war es, nur selten zu wissen, wo man ist und in welche Richtung man weiter fahren muss um das Ziel zu erreichen. Ohne ständigen GOOGLE MAPS Zugang oder zumindest gutem Kartenwerk sollte ich so ein etwas größeres Projekt nicht mehr angehen. Ich glaube schon erwähnt zu haben, dass ich auf dem älteren Rad Navinutzung möglich machen wollte, was aber leider nicht ging. Es liegt doch mehr als ein halbes Jahrhundert zwischen beiden Techniken.

Der gestrige Eindruck von Łeba, als völlig überfüllten polnischen Ostseeurlaubsort während der Sommerferienzeit, lässt mich eher Abstand davon nehmen, an der Küste weiter zu fahren. Das ist sicherlich im Frühjahr und Herbst günstiger …

Meinen Stettiner Freund Bogdan zu besuchen habe ich auf jeden Fall vor. Von Szczecin aus nach Ückermünde und von dort nach Kamminke mit einem Dampfer übe das Oderhaff bequem zu fahren, wie bereits im Juli 1966 mit meiner Oberschulklasse, das hätte schon seinen Reiz. In Kamminke bei Waltraud, der Schwester von Schwager Rolf sowie ihrem Gatten Horst kurz vorbei zu schauen, das ist eine gute Idee. Angelika und Harald rechnen in Zempin vielleicht auch auf meinen Besuch..Ich war mit dem Rad vorher schon so durchschnittlich zwei Mal im Jahr zu Kurzbesuchen bei Ihnen zu Gast. Harald war über eineinhalb Jahre mein Hauptfeldwebel in Karlshagen. Wir hielten nach 1978 ständig Kontakt miteinander.

Bis nach Hause zu radeln würde noch mindestens eine Woche für die ca. 500 km in Anspruch nehmen. Deshalb fiel die Entscheidung darauf, mit dem Zug nach Szczecin zu fahren. Nach meiner morgendlichen Dünenwanderung fuhr ich zum Bahnhof und erfuhr, dass ich um 09.34 Uhr nach Lębork ehemals Lauenburg fahren kann. Das passte. Frühstück war ab 08.30 Uhr möglich. Es war wieder sehr abwechslungsreich. Erstmalig wurde ein Kartoffelsalat angeboten, wie er bei uns zu Hause manchmal zubereitet wird.

Der Zug war nicht voll, im Fahrradabteil waren wir beide alleine.

In Łębork war ich sehr erfreut, dass in etwa 40 Minuten ein IC direkt nach Szczecin fahren wird. Am Kartenschalter erfuhr ich aber, dass eine Fahrradmitnahme nicht möglich ist. Meine Nachfrage, welche andere Variante es gebe, mit einem Rad im Zug nach Szczecin mitgenommen zu werden, blieb unbeantwortet. Da sie ausschließlich polnisch sprach, konnte die ausgebliebene Antwort auch kommunikationsbedingt gewesen sein. Also wieder mal irgendwie durchwursteln. Ustka würde zwar einen Umweg bedeuten, da es nun wieder nach Norden an die Ostsee geht. Ich hatte aber schon mitbekommen, dass vom Küstenort Ustka sogar mit Flixbus die Chance bestehen würde, mit Rad über nachts nach Szczecin kommen zu können. Ich hätte also eine zusätzliche Fahroption.

Bei dem Regionalexpress von Lębork nach Ustka bestand das Radmitnahmeproblem wie erhofft nicht. Der Bahnhof in Ustka machte auf mich einen sehr guten Eindruck, offensichtlich erst vor kurzem komplett modernisiert. Auch der Busbahnhof erhielt in einem gesonderten Gebäude eine Empfangszone. Es fehlten lediglich Angebote im Imbiss- bzw. Gastronomiebereich.. Die Dame im Touristeninformationsbüro sprach deutsch und verstand es sehr gut, die Vorzüge von Ustka im Gegensatz zu Leba hervor zu heben und somit das Interesse für einen späteren Urlaub in dieser Stadt zu wecken.

Ich erhielt die Auskunft, mit einem nach Katowice fahrenden IC bis nach Słupsk, ehemals Stolpe fahren zu können. Von Słupsk ging’s unproblematisch mit einem IC direkt bis Szczecin weiter, vorgesehene Ankunft 17.22 Uhr war übereinstimmend mit der Tatsächlichen! Plötzlch war im IC Radmitnahme möglich, was noch in Lęmbork nicht möglich war. Und: wie modern war das Wagoninnere.

Da ich schon häufiger in Szczecin war und obwohl ich bereits 2014 abends auch mit dem Oldie von der Oder aus dem Süden kommend die Wohnung von Bogdan ohne fremde Hilfe fand, hatte ich mich dieses Mal im Hellen völlig verfranzt, vielleicht weil ich mich unklugerweise den gut ausgebauten Radwegen zugewendet hatte, als mehr auf den sinnvollen Weg zu achten. Bogdan half mir telefonisch den besten Weg zu ihnen zu finden. Es blieb aber nichts anderes übrig. Er musste mit dem Auto direkt zu mir kommen. Wie sinnvoll wäre es doch, GOOGLE MAPS nutzen zu können! So waren wir erst kurz nach acht in der Einfamiliensiedlung, die am nördlichen Rand von Stettin liegt. Es wurde noch ein langer Quatschabend.

Am Samstag haben wir Elzbietha, die Gattin von Bogusław, vom Bahnhof abgeholt. Sie hatte eine Kur in der Nähe genossen. Sie ließen es nicht zu, dass ich bereits am Sonntag abreisen wolle. Wir einigten uns auf Montag, nach dem Mittagessen etwa gegen 16 Uhr, geht’s weiter Richtung Norden in das gut 50 km entfernte Ückermünde. Dort habe ich bereits Quartier bestellt. Am Dienstag werde ich 08.30 Uhr die Fähre nach Kamminke nutzen. Gegen halb zehn wird mich Horst im Hafen abholen und mittags wird es über Swinemünde an der Küste weiter in Richtung Stralsund gehen.

Die Gespräche mit Elzbietha beschränken sich leider auf wenige Worte, da sie weder englisch noch russisch spricht. Ihre Küche ist aber phantastisch. Ich verzichte auf weitere „Gerichts“fotos. Ich werde wohl in diesem Monat nicht abgenommen haben, was auch nicht das Ziel war.

Mit Bogdan gab es vorwiegend in Englisch sehr intensive Gespräche. Am Freitag vorwiegend zur aggressiven russischen Politik unter Putins Führung sowie das russisch-polnische Verhältnis über die letzten zwei Jahrhunderte hinweg. Mit Bogdan gab es vorwiegend in Englisch sehr intensive Gespräche. Am Freitag vorwiegend zur aggressiven russischen Politik unter Putins Führung sowie das russisch-polnische Verhältnis über die letzten zwei Jahrhunderte hinweg. So waren z. B. besonders die Gespräche bemerkenswert, bei denen es über Parallelen der Entwicklung des pommerschen mit dem litauischen Raum in der Umgebung von Rietavas ging. Nach seiner Sicht haben, um es mal etwas überspitzt zu sagen, alle erfolgreichen Trainer oder Manager in der Welt polnische Wurzeln. So vernahm er dankend meine Äußerungen, die sich auf den großen Einfluss der in Litauen sehr einflussreichen polnischen Adelsfamilie Ogrinski ging.

Das Verhältnis polnischer Bewohner zu den Juden während der deutschen Besetzung in den 40er Jahren, das heutige Polen und strategische weltpolitische Fragen waren des weiteren Gegenstand der intensiven Gespräche, natürlich neben vielen familienorientierten Themen.

Mit dem Englisch Sprechen ging es bei uns immer besser, wobei Bogdan als Planer von großen Elektroprojekten im Beruf in großem Maße englisch anwenden musste. Besonders bei den Berichten über seine größeren internationalen Projekte blühte er so richtig auf. Wir kommen mal wieder so richtig gut mit uns zu dritt aus.

Nach dem Frühstück lud mich Bogdan zu einem etwas ausführlicheren Waldspaziergang ein. Mit Elzbietha und Nordic-Walk-Stöcken ist er des Öfteren unterwegs. Sie haben das Glück, dass bereits nach weniger als 300 Metern die sandigen Waldwege beginnen. Wir trafen junge Leute teils mit Partnern, teils mit Hund aber auch einige Radfahrer querten unseren wunderschönen Weg. Bogdan führte mich dieses Mal um einen langsam zu verlandenden See herum.

Es wurde natürlich nicht nur gewandert. Bogdan versuchte mir so manche Besonderheit aus seinem Job anschaulich zu erklären. Ich antwortete auf seine Fragen, ob ich es verstanden hätte, nicht immer korrekt.

Wenn alles planmäßig heute weiterhin so läuft, werde ich mich heute Abend noch mit einer Mitstudentin aus Greifswalder Zeiten zu einem Plausch treffen werde. Ich muss hinsichtlich der Köchin Elzbietha doch noch mal eine Ausnahme machen:

Wenn ich schon einmal bei Ausnahmen bin, möchte ich nach so vielen Grenzübergängen gerade den dokumentieren, über den ich wieder nach Deutschland gefahren bin.

Wenn Ihr Euch erinnert, schenkte mir Fedor, ein etwa 16-jähriger Gymnasiast aus Königsberg, in dem Gästehaus in Rybatschi eine von ihm angefertigte Zeichnung von der Kathedrale in Königsberg. Zu seiner Abreise vor 14 Tagen hatten wir ein etwas längeres Gespräch. Er bat mich u.a. meine Eindrücke hinsichtlich unseres Treffens in ein kleines, Poesiealbum ähnlichem Büchlein zu schildern. Wir hatten seitdem recht intensiven Whatts-App-Kontakt. Er schickte mir u.a. einige seiner Fotos aus dem Innenraum der Kathedrale. Zu meiner großen Überraschung sendete er mir eine Zeichnung, in der er meine Eindrücke mit seinen Stilmitteln umrahmte. Das war für mich sehr beeindruckend, wie auch viele Zeichen an Sympathie während der gesamten Reise.

Nach einer kleinen Pause am Eggesiner NETTO-Markt erreichte ich den Lindenhof. Da fast durchgehend leichter Gegenwind herrschte, war ich nach den gut 60 km ziemlich geschafft. Für mich war auch überraschend, dass sich zwischen der letzten polnischen Lebensmitteleinkaufsmöglichkeit bis zum Eggesiner Markt über mehr als 40 km kein einziger weiterer Laden existierte. Ich hatte es vergessen, mir Getränke mitzunehmen und ausgerechnet zum montäglichen Gaststättenruhetag fahre ich durch Ahlbeck, es stimmt dieses Mal und ist kein Versehen.

Meine ehemalige Studienkollegin Juliane Wegelt wohnt gleich um die Ecke herum und so vereinbarten wir ein kleines Treffen im Lindenhof. Sie traf etwa zeitgleich mit mir dort ein. Wir hatten viel zu besprechen und zufällig ergab es sich, dass sie am nächsten Morgen auch mit der Radfähre nach Kamminke fahren wird. Sie fuhr auf dem FEININGER-Radweg ein Stück in westlicher Richtung, um über die Karniner Fähre zum Festland wieder zurück zu kommen.

Beim sehr leckeren und vielfältigen Frühstück traf ich einen ebenfalls einzeln Radelnden Senior. Für ihn ging es von Mittweida zur Oder. Danach über die Mecklenburgische Seenplatte hinüber zur Elbe und über die Mulde nach Hause. Auch ganz beachtlich, dachte ich so bei mir.

Auf der Radfähre erhielt mein Diamantrad zufälligerweise einen Sonderplatz, so dass ich es unter Deck ständig im Blick hatte.

Im Gegensatz zu meiner ersten Schiffsfahrt über das Stettiner Haff im Juli 1966 waren alle Gästeplätze im unteren Bereich der Fähre Priwall. Kurz zur Erläuterung: Meine große Schwester Siegrid hatte 1963 in Hildburghausen einen Grenzer kennengelernt und 1963 heirateten sie. Er wohnte in dem von Hildburghausen innerhalb der DDR entferntesten Ort, in Kamminke auf Usedom . Sie zogen dorthin und so konnten 20 sonnenhungrige Thüringer junge Damen und Herren mehr als drei Wochen Campingurlaub fastan der Ostsee genießen! Und es ist sehr viel in Erinnerung geblieben: der ständig extrem volle Bus nach Ahlbeck (auch das ist kein Tippfehler) oder der Ausflug zum Ückermünder Tierpark – ausgerechnet zum denkwürdigen Fußball WM Endspiel zwischen England und Deutschland mit dem berühmten Wembleytor. Unsere, vorwiegend zwischen den Jungs geführten, Streitgespräche zur Frage, wem man den WM-Titel wünschen würde oder dürfe (?) ist mir noch heute sehr im Gedächtnis.

Am östlichen Ufer der Ueckermündung befindet sich nicht nur die großzügig errichtete Lagunenstadt sondern auch der Stadtstrand, den wir damals natürlich auch aufsuchten.

Auf der Fähre waren fast alle Fahrrad- und Personenplätze belegt. Es gab intensive Gespräche zu den nächsten Plänen.

Ein einzelner Radler wollte die nächsten drei Wochen über Usedom die polnische Küste entlang fahren. Des Weiteren über die Masuren sowie Suwalki das Ziel Kaunas/Litauen erreichen. Mit der Bahn wollte er den Rückweg antreten.

Nach knapp 1,5 Stunden erreichten wir das kleine Fischerdorf Kamminke.

Der 92-jährige Horst dreht früh immer seine kleine Hafenrunde und so auch heute.

Für ein Erinnerungsfoto bot sich das Denkmal des Fischers aus den vergangenen, sozialistischen Zeiten von Kamminke an.

Nach einem morgendlichen Bad im Stetiner Haff blieb ich noch wenige Stunden bei W. und H. So tauschten wir auch einige Erinnerungen aus. Ich schlief 1966 in diesem Haus mit Siegrid und Schwager Rolf sowie seinen Großeltern. Zum Mittagessen fand ich mich dort fast immer ein, da ich Bratfisch in Mehlschwitze sehr mochte. Als ich nach drei Wochen Opa fragte, ob der Fisch auch mal anders zubereitet werden könnte, sagte er mir „Jungchen, ich esse seit mehr als 60 Jahren den auf diese Weise zubereiteten Fisch und du willst schon nach drei Wochen den Fisch anders zubereitet haben …“

Nach einem Kurzbesuch in Swinemünde fuhr ich mit der Bahn nach Stralsund. In Zempin machte ich bei Angelika und Harald einen Kurzbesuch und bemerkte viele Gäste. Beim Kaffee trinken erfuhr ich, dass Angelika ihren 70. Geburtstag bald feien würde, und sie alle Kinder und Enkel erwarten.

In der Usedomer Bäderbahn (UBB) hatte ich ein interessantes Gespräch mit meiner Nachbarin, einer sehr gern Rad fahrenden Berlinerin. Ich erzählte kurz von meiner Baltikumtour, der Blog war schnell auf ihrem Smartphone geöffnet und sie las skizzenhaft einige Stellen. „Das muß ich mir zu Hause genauer durchlesen. Sie haben die Fahrt ja so beschrieben, als ob sie mich mit auf die Reise nehmen würden, man ist richtig bei Ihnen. Sehr schön.“ Im Gespräch ergab sich, dass ein Teil ihrer Verwandtschaft im Gebiet Allenstein/Olsztin bis 1945 gelebt hatte. Sie habe sich schon immer mal vorgenommen, dorthin zu reisen, es aber immer wieder hintenan gestellt… ‚Na, das wird ja sich ja wohl ändern.‘

So kam ich gegen 20 Uhr zu Hause an, gemäß der Tagesbelastung ziemlich entspannt. Die körperliche Gesamtsituation möchte ich damit aber nicht zu gut beschreiben. Wobei sich nicht nur ein Fahrrad von so einer erheblichen wochenlangen Belastung schnell erholen kann, auch der Körper kann es erfreulicherweise…

Monika und Katja begrüßten mich freudig und zu Ehren des Tages wurden natürlich KÖNIGSBERGER KLOPSE vorbereitet.